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Künstler stellen Attentat und Revolution nach

Ausstellung in den Kunst-Werken Berlin: »History Will Repeat Itself«

  • Tom Mustroph
  • Lesedauer: 6 Min.

Geschichte wiederholt sich – als Kunst. Die Kunst-Werke Berlin zeigen die – nach ihrer Station in Dortmund – erste Überblicksausstellung künstlerischer Ansätze des Nachstellens von historischen Ereignissen. »Re-enactment« heißt in der anglophilen Kunstszene diese Praxis. Sie geht durchaus über die Dokumentation von Ereignissen hinaus und ist auch mehr als deren Fiktionalisierung à la Guido Knoop oder Heinrich Breloer. In seinen geglückten Momenten befragt »Re-enactment« diese Begebenheiten und ihre mediale Darstellung. Es analysiert Bildschichten und Rezeptionsweisen, produziert neue Erkenntnisse und revitalisiert zuweilen sogar den Impuls, der dem Ereignis inhärent war. »History Will Repeat Itself« versammelt Paradebeispiele dieser Disziplin.

Spektakulär und stilbildend zugleich ist die Aktion der beiden US-amerikanischen Künstlerkollektive T.R. Uthco und Ant Farm. 1975 zogen sie nach Dallas, besorgten sich einen offenen Wagen, setzten in diesen zwei auf Ähnlichkeit zu John F. Kennedy und seiner Frau Jackie getrimmte Darsteller und nahmen die Fahrt der Staatskarosse über die Dealey Plaza aus genau der Position auf, von der aus ein Amateurfilmer das Attentat auf den Präsidenten mit seiner Super-8-Kamera eingefangen hatte. So wie JFK in den weltweit bekannt gewordenen Bildern bäumt sich auch sein Double zwölf Jahre später auf und sinkt schließlich zusammen. Dann wirft die Jackie-Darstellerin wie einst ihr Vorbild ihren Körper über ihn. Die Künstler nehmen zusätzlich die Reaktion von Passanten auf: Eine Mischung aus Schrecken über die aktualisierte Erinnerung, Begeisterung über die geglückte Simulation des Geschehenen und verständnisloser Ablehnung. Mancher Zuschauer glänzt auch mit Expertenwissen. Ein Vater erklärt seinen Kindern die Position des Schützen, eine Halbwüchsige meint, dass in den Originalaufnahmen die Häuser größer gewirkt hätten. Es klafft ein Spalt zwischen Original und Nachahmung, aus dem Zweifel und verdrängte Gefühle hervorquellen können.

Eine interessante Arbeit über das Wechselverhältnis von Realität und Inszenierung liefert Pierre Huyghe. In seiner Installation »The Third Memory« lässt er den Bankräuber John Woytowiczs knapp 30 Jahre nach seiner Attacke auf die Chase Manhattan Bank in New York die Ereignisse nachstellen. Der Überfall erlangte einige Prominenz, weil Woytowiczs das Geld brauchte, um seinem damaligen Freund die ersehnte Geschlechtsumwandlung finanzieren zu können. Später verarbeitete Sidney Lumet das Geschehen in dem mittlerweile zum Klassiker gewordenen Film  »Hundstage« mit Al Pacino. Woytowiczs weist in Huyghes Video einzelnen Personen des Teams die Rollen von Kassiererinnen, Filialdirektor, Wachpersonal und Komplizen zu. Souverän verteilt er sie in der Schalterhalle und erteilt ihnen Instruktionen. Stück für Stück, immer unterbrochen von neuen Anweisungen und Kommentaren, spulen sich die Vorgänge ab. Parallel montiert sind Szenen aus »Hundstage«; der Hollywood-Film wirkt wesentlich dramatischer und übersteigerter als die vermutlich näher an den ursprünglichen Ereignissen liegende lakonische Nachstellung. In einem Detail hatte sich Woytowiczs indes an Al Pacino orientiert, erzählt er nun. Wie im zum Zeitpunkt des Bankraubs gerade herausgekommenen Mafia-Epos »Der Pate« schiebt auch Woytowiczs fast beiläufig einen Zettel mit der Geldforderung über den Tresen. Fiktion und Realität erscheinen als aufeinanderbezogene Schleifen.

Zeugnisse einer völlig bizarren Welt sind die Fotografien von Heike Gallmeier. Sie war 2004 in der Normandie dabei, als junge Männer aus Westeuropa und den USA in authentischen Uniformen und mit originalem Kriegsgerät die Schlachten aus dem Jahr 1944 ausfochten. Neben Sommerurlaubern sieht man nun einen Spähtrupp durch einen Bach stiefeln.

Die rumänische Künstlerin Irina Botea reinszenierte 2005 in Chicago den über das Fernsehen bekannt gewordenen Teil der rumänischen Revolution von 1989. Amerikanische Schauspielstudenten platzieren sparsam ein paar historische Accessoires und üben – auf Rumänisch – die Worte ein, die 1989 ausgestrahlt wurden. Wegen der Artikulationsschwierigkeiten und den Verständnisproblemen – Welcher Amerikaner kann schon Rumänisch? – wirken sie noch weniger professionell als die medienungeübten Protagonisten des Machtwechsels in Südosteuropa. Hier erweist sich zumindest auf der Darstellungsebene die latente Kopierunfähigkeit eines revolutionären Ereignisses. Ein Beispiel für das propagandistische Aufblähen eines historischen Ereignisses wiederum ist die 1920 mit ca. 100 000 Einwohnern von Petrograd in Szene gesetzte neuerliche Erstürmung des Winterpalais. Ein Foto dieses Proletkult-Massenspektakels ist in der Schau präsent.

Herzstück der Ausstellung ist das Nachstellen einer Episode aus dem großen Bergarbeiterstreik in Großbritannien in den Jahren 1984/85. Der Künstler Jeremy Deller mobilisierte einige Tausend Personen, darunter viele an den damaligen Arbeitskämpfen beteiligte Bergarbeiter, einige Polizisten, Politiker wie Tony Benn sowie schaukampferprobte Protagonisten von Mittelalterspektakeln. Sie stellten die Massen von Polizisten und Streikenden dar, die am 18. Juni 1984 nahe der Kokerei von Orgreave aufeinanderprallten. Deller inszeniert ein Spektakel, das – festgehalten im Film »The Battle of Orgreave« von Mike Figgis – zunächst wie eine Straßenschlacht aussieht, aber auch eine Rauferei zwischen Fußball-Hooligans und Polizei sein könnte. Ein Befragung der einzelnen Akteure bringt jedoch eine völlig andere Motivation ans Tageslicht. Bei vielen der früheren Kumpel kommen die Emotionen hoch. Sie erleben sich noch einmal als eine geballte, entschlossene Macht. Die gewaltige Solidarität von damals erfasst sie erneut. Sie erinnern sich an das Füreinander-Einstehen in Gefahrensituationen und das Herauskitzeln außergewöhnlicher Leistungen in besonderen Umständen. Manche wollen die Polizisten noch einmal verdreschen – jetzt aber richtig. Einer gesteht, sich aus der Produktion herausziehen zu wollen, weil er auch einige frühere Streikbrecher unter den Laienschauspielern erkannt hat. Ein anderer beklagt, durch Aussperrungen und Streik »mein Haus und einen Teil meiner Familie verloren« zu haben. Er wünscht, dass die damalige Premierministerin Maggie Thatcher »tot umfallen« möge. Ein Dritter prognostiziert, dass auch zwei Jahrzehnte nach diesen Auseinandersetzungen noch nicht alle Messen gesungen seien. Die Arbeiterklasse sei noch da. Zwar seien die wenigsten weiter als Bergarbeiter tätig; sie hätten in andere Städte, in andere Jobs abwandern müssen. Doch seien sie bereit, sich erneut zu erheben.

»The Battle of Orgreave« ist nicht nur Making Of und Dokumentation der Re-Inszenierung dieser »Schlacht«. In zahlreichen Interviews korrigieren Zeitzeugen das überlieferte Bild der Ereignisse. Der Abgeordnete Tony Benn etwa berichtet, dass ihm BBC-Journalisten erzählt hätten, dass der Nachrichtenbeitrag verfälscht worden sei. Statt zuerst den martialischen Einmarsch der berittenen Polizei zu zeigen und danach die Steinewürfe der Streikenden als Reaktion darauf, begann die Hauptnachrichtensendung mit den Steinwürfen und sendete erst danach Bilder der berittenen Ordnungshüter. Ursache und Wirkung wurden für den Fernsehzuschauer vertauscht und das Klischee einer gewaltbereiten Menge und einer lediglich reagierenden Polizei kre-iert. Die BBC entschuldigte sich später mit dem lapidaren Hinweis auf unbeabsichtigte Fehler beim Schnitt. Der Gewerkschafter David Douglas schließlich gibt einen Hinweis darauf, dass die Konfrontation selbst möglicherweise von Arbeitgebern und Regierung inszeniert gewesen sein könnte, um die damals mächtigste Gewerkschaft als »inneren Feind« brandmarken zu können. Die Kämpfe in Orgreave hatten sich um eine Kokerei entzündet, die Brennstoff für die Stahlwerke von British Steel bereitstellte. Eine Aufgabe der Streikenden bestand darin, den Transport zu unterbinden. British Steel verfügte jedoch – so fand Douglas heraus – über eigene geheime Hafenanlagen. Der aufwändig bewachte Transport über Land wäre gar nicht nötig gewesen.

»The Battle of Orgreave« erweist sich als perfektes Schaustück über Arbeitskämpfe und deren Manipulation. Film und Inszenierung legen die verschütteten Emotionen frei und schließen so Vergangenheit und Gegenwart kurz. »Reenactment« kann im besten Sinne eine Beuys'sche soziale Plastik sein.

Bis 13.1.2008, Kunst-Werke Berlin, Auguststr. 69, 10117 Berlin, Di-So 12-19 Uhr, Do 12-21 Uhr.

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