nd-aktuell.de / 17.12.2007 / Politik

Mobbing unterm Kreuz

Wenn evangelische Kirchenleitungen missliebige Pfarrer loswerden wollen, haben die kaum eine Chance – der Ungedeihlichkeits-Paragraf im Kirchenrecht macht sie faktisch wehrlos

Thomas Klatt
Über 20 Jahre lang war Johannes Bräuchle Dorfpfarrer auf dem württembergischen Land. Besonders engagiert in der Kinder- und Jugendarbeit, wie er betont. Doch dann missfiel einigen Gemeindekirchenratsmitgliedern plötzlich seine etwas modernere Amtsführung und sie beschwerten sich beim vorgesetzten Dekan.

»Es wurde damals festgestellt, dass eigentlich nichts sei. Das hat dann die Personen, die an meinem Weggang interessiert waren, eher provoziert nachzulegen«, erinnert sich Bräuchle. »Der Dekan wurde mit Beschwerden bombardiert. Da ging es um Kleidung, Unbedeutendes. Das ergab eine ungute Stimmung im Gemeindekirchenrat und einen Solidarisierungseffekt mit mir in der Gemeinde.«

Am Ende war die Gemeinde gespalten. Doch statt Pfarrer Bräuchle zu stützen und zu schützen, wurde er nun von der Kirchenleitung unter Druck gesetzt. Seine Familie geriet ins Visier. »Der Dekan hatte mich freundlich eingeladen, um mit mir über meinen Mann zu reden. Er wollte wissen, ob mein Mann psychische Probleme hat. Das fand ich widerwärtig«, erzählt Pfarrfrau Charlotte Bräuchle. Der Pfarrer wurde schließlich abberufen, ohne Chance auf eine Anhörung oder gar ein faires Verfahren.

Der Fall aus Württemberg ist kein Einzelfall in der evangelischen Kirche, weiß die Journalistin und Pfarrfrau Sabine Sunnus vom Verein D.A.V.I.D. gegen Mobbing. In den sieben Jahren ihres Bestehens hat die Selbsthilfegruppe, deren Anfangsbuchstaben für Dokumentation, Aufklärung, Vertrauen, Intervention und Deeskalation stehen, bundesweit über 160 Betroffene betreut. »Ziel eines jeden Mobbings ist es, die Person sozial zu isolieren. Im Umfeld Kirche kommt erschwerend hinzu, dass das Harmoniebedürfnis wahnsinnig groß ist«, erzählt Sunnus.

Solange alles gut geht, leben die meisten Theologen mit der Illusion, dass ihre Landeskirche sie schützt, ein wärmendes Nest, Heimat und Identität bietet. Doch bei Konflikten fallen viele aus emotionalen und vor allem arbeitsrechtlichen Wolken. Mehrköpfige Pfarrfamilien fühlen sich auch finanziell von ihrer Kirche abhängig und damit erpressbar. Die Treuepflicht im Tendenzbetrieb Kirche lasse zudem viele Mobbingopfer viel zu lange schweigen, erlebt Sunnus.

Immer wieder laufen ähnliche Muster ab. Es kommt zu Kriminalisierungen, etwa zum Verdacht der Geldhinterziehung oder Veruntreuung. Missliebigen Pfarrern wird ihre Geschäftsfähigkeit abgesprochen, indem man ihnen Amtsmüdigkeit oder seelische Krankheit nachsagt.

Hilfe für Angestellte und Ehrenamtliche
Im Stuttgarter Landeskirchenamt weist man diese Vorwürfe jedoch weit von sich: In der Landeskirche gebe es kein Mobbing. Die Betreuung und Fürsorge der Pfarrerschaft sei wesentlich besser und intensiver als etwa für Mitarbeiter in der freien Wirtschaft, sagt Pressereferent Klaus Rieth. Sabine Sunnus will die gemobbten Pfarrer auch nicht heilig sprechen. Natürlich hätten in der Regel alle Beteiligten ihre Anteile am Konflikt. Als Verein biete man aber Beratung und Beistand an, um die isolierten Pfarrer nicht alleine zu lassen und Fairness im Verfahren einzufordern. »Mobbing ist ein Leitungsproblem und breitet sich dort aus, wo Leitungspersonen versagen. Das ist ein fataler Kreislauf, weil auch die Gemeindeglieder nicht mehr zählen, die sich für die Pfarrer noch einsetzen. Die werden ignoriert und auch vor die Tür gesetzt. Das ist ein Zerstörungsprozess«, stellt Sunnus fest.

D.A.V.I.D. ist Teil eines bundesweiten Netzes verschiedener Anti-Mobbing-Gruppen im Raum der Kirche, die in der so genannten »Melsunger Initiative« zusammenarbeiten. Dazu zählt auch die »Hilfsstelle für evangelische Pfarrer« im niederrheinischen Moers. Sie wird vom Theologen Roland Reuter geleitet, der selbst von seiner Kirche aus dem Pfarramt gemobbt wurde. Nun will der Geschädigte seinen Kollegen helfen und sie vor allzu viel Blauäugigkeit warnen. »Die Fallisolierung, die betrieben wird, brechen wir mit unserem Verein auf, um die sozialen Auswirkungen zu mildern. Es geht um depressive Verstimmungen, gesprengte Ehen, finanzielle Einschnürungen, Kostenlawinen durch Anwälte, Isolation in der Pfarrerschaft, Makel in der Öffentlichkeit der Kirche und Nachbarschaft, Selbstmordgedanken, tatsächliche Selbstmorde«, erläutert der ehemalige rheinische Pfarrer. Wir haben ganz konkret schon Selbstmorde verhindert. Dies aufzusprengen, indem wir den Leuten zeigen, ihr seid überhaupt keine Einzelfälle, sondern Opfer eines viel größeren, dahinter liegenden Problems, ist eine wichtige Funktion unserer Hilfsstelle.«

Mittlerweile steht das Selbsthilfe-Netzwerk im ständigen Kontakt zu den etablierten Pfarrervereinen, die das Mobbing-Problem lange Zeit eher verdrängt hatten. D.A.V.I.D. will aber anders als etwa der Moerser Verein nicht nur beamtete Pfarrer beraten, sondern auch kirchlichen Angestellten und vor allem Ehrenamtlichen helfen. Denn ihrer Erfahrung nach werden Gemeindekirchenräte und engagierte Gemeindemitglieder im Konfliktfall von der Kirchenleitung gleich mit gemobbt, sagt Sunnus.

Oft fehle ein professionelles Krisen- und Konfliktmanagement. Statt Deeskalation greife die Kirchenleitung vielmehr zum Pfarrerdienstrecht. Für die beamteten Pfarrer gilt der so genannte Ungedeihlichkeitsparagraf. Pfarrer können demnach ohne Zustimmung aus ihrer Stelle versetzt werden, wenn »eine gedeihliche Führung ihres Amtes als Inhaberinnen oder Inhaber der Stelle nicht mehr zu erwarten ist; die Versetzung ist auch dann zulässig, wenn die Gründe nicht in der Person der Pfarrerin oder des Pfarrers liegen«. So steht es im Pfarrerdienstgesetz der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau; vergleichbare Regelungen auch in allen anderen evangelischen Landeskirchen in Deutschland.

Mit diesem Instrumentarium kann die Kirche ihre Pfarrer nach Gutdünken versetzen, ohne dass ihnen Schuld nachgewiesen werden muss. Die Pfarrer werden aber nicht in eine andere vergleichbare Pfarrstelle versetzt, sondern in den Wartestand, mit zum Teil beträchtlichen Abschlägen beim Gehalt. Oder sie werden gleich in den Ruhestand versetzt, egal wie alt sie sind.

Der Wartestand wurde in Verbindung mit dem protestantischen Ungedeihlichkeitsparagrafen 1937 eingeführt und nach 1945 von den evangelischen Synoden bestätigt, schreibt Hans-Eberhard Dietrich von der »Interessengemeinschaft Rechtsschutz für Pfarrer und Pfarrerinnen und Gewaltenteilung in der Kirche« aus Stuttgart in einer D.A.V.I.D.-Publikation. Nichtgedeihlichkeit war laut Dietrich ein politischer Kampfbegriff aus der Kaiserzeit, mit dem sozial engagierte Pfarrer aus dem Beruf entfernt werden sollten. Er wurde dann von den Nazis mit Freuden aufgenommen, um die Kirche auf Linie der NS-Ideologie zu bringen. »Nicht mehr Bibel und Bekenntnis sind die Maßstäbe, an denen ein Pfarrer gemessen wird, sondern die Kirche unterwirft sich wechselnden politischen Anschauungen«, schreibt Dietrich. Mit dem Wartestand im Dritten Reich habe sich die Kirche ein ganz neues Recht geschaffen, das weder mit dem einstweiligen Ruhestand für staatliche Beamte vergleichbar ist, da hier keine Gehalts-Herabstufung und gesellschaftlich-soziale Diffamierung drohe, noch in der sonstigen Rechtsgeschichte der protestantischen Kirche wurzele oder vergleichbar mit irgendeinem anderen Recht sei. Die Kirche agiert in ihrem Rechtsgebaren somit wie ein Staat im Staate.

Anders als Angestellte können Pfarrer als Kirchenbeamte nicht vor ein ziviles Arbeitsgericht ziehen. Die innerkirchlichen Verwaltungsgerichte folgen jedoch meistens den Vorstellungen der Kirchenleitung, ihre Verhandlungen sind also im Ergebnis eine juristische Farce. In der Regel gibt es unabhängig von der Schwere der Vorwürfe nur einen Verhandlungstag innerhalb kirchlicher Amtsräume. Die Vertreter des Moerser Anti-Mobbing-Vereins begleiten auf Wunsch ihre Klienten auch zu den Verhandlungen. »Und dann stellen wir fest, dass in den Verhandlungspausen unsere Gegner, also die Kirchenleitungsvertreter, zusammen mit den nominell unabhängigen Verwaltungskammerrichtern essen gehen. Für uns ist das sehr befremdlich. Die klüngeln da zusammen«, weiß Roland Reuter aus Moers.

Heißer Tipp an Theologiestudenten
Für viele Pfarrer ist es schon schwierig, eine von der Kirche akzeptierte Rechtsvertretung zu finden, denn der Beistand muss Mitglied einer evangelischen Landeskirche sein. Zudem haben sich nur wenige Juristen auf kirchliches Verwaltungsrecht spezialisiert. Der betroffene Pfarrer wird oftmals gar nicht gehört oder er kann vor Gericht keine Stellungnahme abgeben, weil ihm oft von seiner Kirche gar nicht mitgeteilt wird, was ihm genau vorgeworfen wird. Entschieden wird dann nach Aktenlage. Erst in solchen Konflikten werde den meisten Pfarrern und ihren Familien klar, dass die Kirche ein Arbeitgeber ist, vor dem man sich zumindest mit einer Rechtsschutzversicherung absichern sollte.

Pfarrer Bräuchle musste damals von der Kirche zu einem freien Träger wechseln. Damit hatte er noch Glück, wie er betont, denn meist sei durch ein Abberufungsverfahren der öffentliche Ruf ruiniert. Eine weitere Tätigkeit bei der Kirche sei durch Eintrag in die Personalakte mehr als erschwert. Johannes Bräuchle darf heute nicht mehr in einer Gemeinde tätig sein, obwohl er gerne würde. Ihm wird aber noch erlaubt, als Seelsorger in der Messe Stuttgart zu arbeiten. Seine Frau will junge Menschen nicht entmutigen, weiterhin für die Kirche tätig zu sein, doch rät sie Theologiestudenten dringend, sich von vornherein ein zweites berufliches Standbein aufzubauen. Künftige Pfarrfrauen oder -männer sollten sich darauf einrichten, dass sie im Zweifelsfall ihre Familien mit einem Job auch außerhalb der Kirche ernähren können.

Zum Weiterlesen: Berufung, Rufmord, Abberufung – Der Ungedeihlichkeitsparagraf in den evangelischen Kirchen. Fenestra-Verlag Wiesbaden-Berlin, November 2007. Im Auftrag von D.A.V.I.D. gegen Mobbing in der Evangelischen Kirche. www.david-uwd.de[1]

Links:

  1. http://www.david-uwd.de/