Er bringt die Dinge zum Reden

Große Werkschau von Manfred Butzmann im Berliner Käthe-Kollwitz-Museum

  • Klaus Hammer
  • Lesedauer: 6 Min.

Er ist als politischer Akteur, listiger Provokateur, Partisan der Aufklärung, dokumentarischer Realist, Ein-Mann-Bürgerbewegung, Spurensicherer, Stadtarchäologe und Berlin-Chronist bezeichnet worden, doch alle diese Bezeichnungen geben nur Teilstücke seines mehr als vierzigjährigen Wirkens wieder. Er betreibe »Heimatkunde«, so hat Manfred Butzmann sein Wirken selbst genannt. Er mischte sich zu DDR-Zeiten ein, als die Bäume an den Straßen abgeholzt wurden, als historische Gebäude der Abrissbirne zum Opfer fallen sollten. Den tristen Garagenbau auf ruinierten Villengrundstücken verhinderte er in Berlin-Pankow, wo er bis zu seinem diesjährigen Umzug nach Potsdam lebte, durch Anlage eines Spielplatzes und durch jährliche »Hasenfahnenfeste« für Kinder und Nachbarn. Es macht ihn krank, wenn er an die Umweltschäden von Deutschland bis nach China denkt – »Brüder, es brennt!« Stets meldete er sich als Künstler zu Wort, sei es durch seine selbst gedruckten Plakatserien und Postkartenfolgen, durch seine Grafik und Malerei oder seine Abreibungen und Texte.

Manfred Butzmann erhielt 1991 den Käthe-Kollwitz-Preis der Akademie der Künste. Jetzt eröffnet das Käthe-Kollwitz-Museum mit Butzmann – gerade recht zu seinem 65. Geburtstag – eine Werkschau, die mit anderen Kollwitz-Preisträgern fortgesetzt werden soll. Annähernd 200 Arbeiten werden vorgestellt, von den milieukritischen Bildern Anfang der 60er Jahre über die politischen Plakate, die Radierungsfolgen bis zu den Abreibungen (Frottagen, 1996-98) und jüngsten Aquarellen (Porträts, Figurenbilder, Interieurs, (Stadt-) Landschaften und Plakaten.

In der Manier des Wilhelm Busch hat der 28-jährige Künstler den »Hans im Glück«, diesen Jedermann von heute, in Bild und Text vorgeführt (1970), und hier bereits schlägt die skurrile Ironie alsbald in bitterböse Satire um. »Auch ein Totentanz« (1972), jene kleinformatige Radierfolge mit metaphorischen Anspielungen, verlegt die Dialogform Tod – Mensch ganz in die Gegenwart. Die Menschen sind amputierte Gliederpuppen, deren Glieder man nach Belieben biegen, verrenken oder austauschen kann. Das macht sie zu Bildträgern von Vergewaltigung und Brutalität, von Manipulierbarkeit und Willfährigkeit für den Sensenmann, der Schicksal spielt.

Unter dem scheinbar harmlosen Titel »Eindrücke« (1977) verarbeitete Butzmann grafisch seine Erfahrungen bei der NVA. Es waren die ersten Innenansichten des Soldatenalltags in der DDR überhaupt. Auf Blatt 1 wird eine stimmungsvolle nächtliche Landschaft nur durch eine schwarze Tafel – man ahnt die Aufschrift »Militärisches Gelände – Betreten verboten!« – getrübt. Die Landschaft da draußen ist auf Blatt 2 durch einen Drahtzaun vom Militärgelände abgetrennt, während Blatt 3 einen von Baracken eingeschlossenen Appellplatz zeigt. Der Blick fällt dann von den in Reih und Glied aufgestellten Doppelstockbetten und Spinden, von den schlafenden oder mit Gasmaske und Kampfanzug bekleideten Soldaten – eine andere Art von Totentanz – nach draußen auf Sturmbahn, Schießplatz oder Kasernenhof im Nebeltag. Solche Arbeiten haben dem Künstler das Etikett dokumentarischer Realismus eingebracht, der sich zwar ausdrücklich des Kommentars enthält und doch – so hat es sein Künstlerkollege Konrad Knebel formuliert – »sehen lehren will«.

Seine »Siebensachen« (Schlüsselbund, Taschenmesser, Uhr, Brille, Notizbuch, Portemonnaie, Fahrradschlüssel) hat Butzmann 1985 in einer Aquatintafolge beschrieben: Dinge, die man täglich braucht, die man verliert und wieder ersetzt, die einem Inhaftierten abgenommen oder dem Toten aus der Tasche geräumt werden. Eine Bestandsaufnahme des Allernotwendigsten in äußerster Verknappung der Form, in strenger Konzentration auf eine elementare Dingwelt. Es bedarf des Echos einer banalen Gegenständlichkeit, um seines eigenen Wertes inne zu werden. Der aber lässt sich nicht bestimmen, nur noch umstellen durch das, was die »Inventur« erbringt.

Beklemmende menschenleere architektonische Situationen geben seine beiden Mappen mit Aquatintaradierungen zum Thema »Steinernes Berlin« (1981/82 und 1983-87) wieder: ein Ost-Berlin der 80er Jahre, unbestechlich in seiner Authentizität, Kriegs- und Nachkriegszeit mit der »sozialistischen« Gegenwart verbindend, Alt- und Neubauten im Mit- und mehr im Gegeneinander, architektonische Disproportionen, die auf die Sozialstruktur verweisen, das Mauerwerk mit sprechenden Erosionen, die Geschichte, Witterung, Umweltverschmutzung und Vernachlässigung bewirkt haben. Ein Blatt mit dem Titel »Grenzmauer«, das eindeutig die Berlin teilende Mauer meint, wird bis auf einen schmalen grauen Himmelsstreifen von der undurchlässigen Betonmauer ausgefüllt, in die sich die Schicksale der Menschen zeichenhaft eingegraben haben. Ein anderes, »Freitreppe am Museum«, führt auf einer Treppe zu einer Giebelwand mit einer Fensteröffnung, durch die man nicht ins Innere, sondern nach draußen zur nächsten Giebelwand des zerstörten Gebäudes schaut. Die Treppe geht also ins Leere ... Symbolträchtiger kann ein Blatt nicht sein.

Die Technik der Frottage, der Durchreibung von natürlichen Strukturen mit Graphit oder anderen Materialien, benutzte zuerst Max Ernst, der die Maserung des Holzes oder das Geäder von Blättern in suggestive surrealistische Bilder transponieren wollte. Butzmann dagegen liest den Böden, Wänden und Steinen, die er in Mietshäusern wie historischen Gebäuden abreibt, dem Stein, dem Pflaster, den Kacheln und Fliesen, deren Geschichte und Geschicke ab. Sie erzählen von den Menschen, die darin ihre Zeichen hinterlassen haben. »Es ist nur das dünne Papier zwischen Wirklichkeit und Kunstergebnis«, sagt er. Druck bedarf des Gegendrucks, damit etwas sichtbar wird, wenn man (einen) Druck macht, will uns Butzmann mit seiner Frottage-Technik zeigen und erläutert damit auch sein künstlerisches Programm.

Und dann seine lakonischen Foto-Plakate, die ihn, angeregt durch die 20-jährige Bekanntschaft mit Klaus Staeck, zur kritischen Auseinandersetzung mit den gesellschaftlichen Verhältnissen trieben. Als er 1981 ein Plakat für eine Ostberliner Ausstellung von Klaus Staeck gestalten sollte, verwendete er das Staeck-Plakat »Die Gedanken sind frei« und schrieb provokant dahinter »vom 3.12. bis zum 19.12. 1981« (das Ausstellungsdatum). Das Plakat durfte so nicht gezeigt werden. 1995 veranlasste ihn der Besuch von Helmut Kohl in China – sechs Jahre nach dem Blutbad auf dem Platz des Himmlischen Friedens – zu einem Plakat »Chinesisches Souvenir«: Unter einem Zeitungsausschnitt mit der Überschrift »Ohne Militär läuft nichts. Kohls Besuch beim wichtigsten Wirtschaftsfaktor: dem Unternehmen Volksbefreiungsarmee« werden die Worte eines chinesischen Dichters gesetzt, dass das vorsätzliche Schweigen, »vom Import-Export-Volumen diktiert«, ihm mehr Angst mache als das Massaker: »Dieses Schweigen ist Mord«. Dieses von vielen Gleichgesinnten mitveröffentlichte Plakat brachte Butzmann eine Geldstrafe von 1500 DM ein, die erst durch einen Rechtsanwalt auf ein Drittel reduziert werden konnte.

Wir haben zu wenige solcher politisch und sozial engagierten Künstler wie Butzmann, die nicht mit agitatorischem Pathos, sondern mit aufklärerischem Intellekt, verschmitztem Humor und hintergründiger Ironie – manchmal stellt er nur Fragen, aber Fragen mit Fußangeln – sich einmischen in die Belange der Gesellschaft, die ja doch unsere Belange sind.

Manfred Butzmann – eine Werkschau in sieben Kapiteln. Käthe-Kollwitz-Museum Berlin, Fasanenstr. 24. Bis 6. Januar. Katalog.

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal