Pfannen aus dem Vereinigungslabor

66 Quadratkilometer Kapitalismus in der KDVR

  • Peter Kirschey
  • Lesedauer: 4 Min.
In aller Stille hat sich in Kim Jong Ils Koreanischer Demokratischer Volksrepublik, direkt an der entmilitarisierten Zone am 38. Breitengrad, ein kleines Stück Kapitalismus etabliert.

Auf einer Fläche von 66 Quadratkilometern haben sich rund um die militärisch abgeschirmte nordkoreanische Stadt Käsong, etwa 70 Kilometer von der südkoreanischen Hauptstadt Seoul entfernt, kleinere und mittlere Unternehmen aus Südkorea angesiedelt. Sie produzieren Waren des täglichen Bedarfs für den südkoreanischen Markt. Erst im November wurde ein weiterer Komplex mit Internatsunterkünften für nordkoreanische Arbeitskräfte fertiggestellt, und Anfang Dezember mieteten sich sechs Textilfirmen aus dem Süden ein. 2700 Nordkoreaner fanden einen neuen Arbeitsplatz.

Produziert werden in Käsong vor allem Textilien, Uhren, Küchenartikel und Autoersatzteile. Eines der ersten Erzeugnisse war die »Korea-Wiedervereinigungspfanne«, eine gusseiserne Bratpfanne für den Haushalt. Noch wird der größte Teil der Rohstoffe oder Halbfertigerzeugnisse aus dem Süden in den Norden gebracht, die teuren Transporte sollen jedoch Schritt für Schritt durch Materiallieferungen aus dem Norden abgelöst werden.

Die Idee, einen solchen Industriepark zu schaffen, hatte der Hyundai-Gründer Chung Ju Yung, der sich von der wirtschaftlichen Sonderzone Milliardengewinne versprach und Käsong als Laboratorium der koreanischen Wiedervereinigung pries. Es gelang ihm, die beiden mächtigsten Männer beider Staaten für das Projekt zu begeistern. Bei deren erster Gipfelbegegnung im Jahre 2000 in Pjöngjang wurde ein Abkommen geschlossen, das den Aufbau der Sonderwirtschaftszone Käsong bis 2012 regelt. 2002 wurde der Grundstein gelegt, 2004 nahmen die ersten zwei südkoreanischen Unternehmen die Produktion auf. Derzeit sind etwa 60 Firmen mit 15 000 Beschäftigen in Käsong ansässig, 2012 sollen in der Zone 750 000 Nordkoreaner arbeiten. Deren südkoreanische »Arbeitgeber« profitieren vor allem von den niedrigen Löhnen und den billigen Standortpachten. Der Lohn eines Arbeiters liegt bei umgerechnet 60 Dollar im Monat.

Die Beschäftigten erhalten das Geld jedoch nicht direkt von ihrem Unternehmen. Die überweisen es vielmehr an den nordkoreanischen Staat, der die Löhne in einheimischen Won auszahlt, wobei ein Teil des Geldes für Sozialleistungen und Unterkunft in den Wohnheimen abgezogen wird. Der Restbetrag liegt aber immer noch über dem Durchschnitteinkommen eines nordkoreanischen Arbeiters in einem staatlichen Betrieb, so dass die Arbeitsplätze in Käsong sehr begehrt sind und von einer Kommission zugeteilt werden.

Künftig sollen die Beschäftigten einen Teil ihrer Bezahlung auch in Dollar erhalten. Das Geld können sie dann in speziellen Wechselstuben umtauschen oder Waren in einem Markt einkaufen, der dem einstigen Intershop in der DDR gleicht.

Südkoreanische Unternehmer, die sich in Käsong ansiedeln möchte, schließen mit den Behörden der KDVR einen Pachtvertrag über 50 Jahre ab. Die Pacht liegt bei 5 Dollar je Quadratmeter Produktionsfläche. Viele mittelständische Firmen, die in Südkorea wegen der schnell steigenden Kosten keine Überlebenschancen gehabt hätten, konnten sich durch das Ausweichen nach Käsong wieder sanieren.

Da die Stromversorgung in Nordkorea wegen der nach wie vor angespannten wirtschaftlichen Lage nicht gesichert werden kann, haben die beiden koreanischen Staaten ein Abkommen zur Nutzung des südkoreanischen Energienetzes getroffen. Südkoreanische Unternehmen produzieren jetzt als im Norden mit Strom aus dem Süden. So profitieren beide Seiten von der Wirtschaftssonderzone.

Käsong selbst gehörte zu den wenigen Städten, die während des Koreakrieges zwischen 1950 und 1953 nicht dem Erdboden gleich gemacht wurden. Während rings um die Stadt erbitterte Schlachten um jeden Berg und jedes Tal tobten, blieb Käsong als Verhandlungsort mit seinem historische Stadtkern und Bauten aus der Zeit des Königreiches Koryo (918 bis 1392) nahezu unversehrt.

Für die meisten der 23 Millionen Nordkoreaner ist und bleibt Käsong jedoch unerreichbar, wogegen gerade in diesem Monat die ersten Touristen aus dem Süden in die Stadt kommen. Berühmt ist die Region auch für die Produktion der Ginseng-Wurzel, die in Lebensmittel- und Pharma-Industrie verarbeitet wird und der in Korea geradezu Wunderwirkungen nachgesagt werden. Der beste Ginseng, schwören Koreaner, kommt aus Käsong. In dem Maße, wie das grenzüberschreitende Straßen- und Schienennetz ausgebaut wird, haben auch größere Unternehmen eine Chance, in Käsong zu produzieren.

Südkorea hat sich in diesem Jahr mit einem Volumen von rund 720 Milliarden Dollar zur elftgrößten Handelsnation der Welt entwickelt. Im letzten Jahr betrug der Außenhandelsumsatz 636 Milliarden Dollar, das Land lag damit hinter Hongkong auf Rang 12. Noch ist der Industriekomplex nahe der innerkoreanischen Grenze mit nur wenigen Prozentpunkten an der Entwicklung beteiligt, bis 2012 könnte sich das jedoch grundlegend geändert haben.

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