»Zum wiederholten Mal grandios vermasselt«

Wird Prozess gegen vier rechte Schläger, die in Halberstadt Schauspieler niederschlugen, eine Farce?

  • Uwe Kraus, Magdeburg
  • Lesedauer: 3 Min.
Der 10. Verhandlungstag des am 9. Oktober im Landgericht Magdeburg begonnenen Prozesses des Amtsgerichtes Halberstadt gegen vier rechte Schläger, die im Juni in Halberstadt am brutalen Angriff auf Darsteller des Nordharzer Städtebundtheaters beteiligt gewesen sein sollen, ist ein besonderer. Erstmals werden sie nicht aus der Haft vorgeführt.

Die 22- bis 29-jährigen mutmaßlichen Angreifer Christian W., David O., Tobias L. und Stefan L. waren am 5. Dezember auf Antrag der Verteidigung auf freien Fuß gekommen. Die Aufhebung der Haftbefehle sei »keine Überraschung, sondern die Konsequenz einer dünnen Beweislage, die auf Ermittlungspannen der Polizei am Tatort und den blinden Aktionismus der Staatsanwaltschaft zurückgeht«, glaubt die Mobile Beratung für Opfer rechter Gewalt, die gestern vor Gericht massive Präsenz zeigte. Zu Beginn des neunten Prozesstages hatte eine Gerichtsmedizinerin ausgesagt, dass zwei der Betroffenen lebensgefährlich verletzt waren. Es sei möglich, dass mit Springerstiefeln auf sie eingetreten wurde. Wenn die Staatsanwaltschaft keine Nachermittlungen anordne und weitere Tatzeugen vorlade, drohe ein Debakel für den Prozess und der Freispruch von einigen der mutmaßlichen Angreifer, meint die Opferberatung. Bereits zum Auftakt des Prozesses ließ der Richter den Anklagepunkt, die Täter hätten gemeinschaftlich und in Absprache gehandelt, nicht zu. Dafür sehe er in den Akten keine Anhaltspunkte.

Auch André Bücker, Intendant des Nordharzer Städtebundtheaters ist »nicht wirklich überrascht – weil der ganze Prozess einer Farce ähnelt«. Man verlange jetzt von den Opfern, sich exakt daran zu erinnern, welcher Täter in welcher Reihenfolge womit wohin getreten habe. »Polizei und Justiz haben es zum wiederholten Male grandios vermasselt, im Kampf gegen rechte Gewalt ein deutliches Zeichen zu setzen«, erklärte Bücker vor Journalisten. Er und seine Kollegen wollen sich nicht länger von Leuten, die ihre Arbeit nicht machen, als »Demokratieclowns« instrumentalisieren lassen. Die Gerichtsentscheidung sei letztlich eine Aufforderung zum Weiterprügeln.

Christian W. hatte bereits bei Prozessbeginn den Angriff zugegeben, bestritt jedoch das ihm von der Staatsanwaltschaft zur Last gelegte politische Motiv. Erkenntnisse über den widersprüchlich geschilderten Tathergang legen außerdem nahe, dass der erste angegriffene Darsteller keineswegs ein linkes oder punkiges Äußeres hatte. Christian W. hatte ausgesagt, die Theaterleute hätten ihn »Schwuler« oder »Schwuchtel« genannt. Eine Sängerin bestätigte in ihrer mit Spannung erwarteten Zeugenvernehmung, kurz vor dem Überfall gefragt zu haben: »Bist du schwul, oder was?« In ihren Kreisen sei schwul mit »komisch« oder »anders« gleichgesetzt. Selbst die Anwälte der vorbestraften Rechtsextremen sahen darin keinen Anlass für den derartig brutalen Überfall. Christian W. hatte angegeben, dass die mitangeklagten David O., Tobias L. und Stephan L. »definitiv« an der Schlägerei beteiligt waren.

Auch gestern hörte das Gericht zwei Zeuginnen, die zu der Gruppe von 13 Theaterleuten gehörten, aus der mehrere Darsteller zusammengeprügelt wurden. Eine 19-Jährige erinnerte sich, dass das ausländerfeindliche Wort »Polacke« gegen die Theaterleute gefallen sein soll. Das hatten die Akten bisher nicht verzeichnet. Auch, dass das Gedächtnisprotokoll der Studentin die doppelte Länge des Polizeiprotokolles hat, sorgte gestern für längere Nachfragen.

Prozessbeobachter gehen davon aus, dass bis auf den geständigen Christian W., dem zudem für das Benennen von Mittätern eine mildere Strafe zugesichert worden sein soll, keiner der anderen Angeklagten mit einer Freiheitsstrafe zu rechnen habe.

Am Dienstag wurde bekannt, dass der Hauptangeklagte vier weiteren Personen eine Mitschuld als Täter vorgeworfen hat. Bei den 16- bis 18-Jährigen prüft die Halberstädter Staatsanwaltschaft derzeit, ob es hinreichende Momente für eine Anklage gibt. Möglich seien Verfahren vor der Jugendkammer. Doch gestern einigten sich die elf Anwälte und das Gericht erstmal auf die Prozesstermine bis zum April.

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