»Wenn Raila gewinnt, gibt es Gewalt, und das Land zerfällt«, meint Winnie Kivendyo. Die junge Biologin, die kürzlich ihr Studium in Stuttgart beendete, hegt tiefe Vorbehalte gegen den Kandidaten der oppositionellen Orange Demokratiebewegung (ODM). Damit steht sie in der kenianischen Hauptstadt Nairobi keineswegs alleine da. »Sollte Raila gewinnen, geraten wir über kurz oder lang unter muslimische Vorherrschaft«, sorgt sich John Kamau, ein Mitarbeiter der anglikanischen Kirche Kenias.
Seit Monaten schürte die Regierung Angst vor dem aussichtsreichsten Kontrahenten des amtierenden Präsidenten Mwai Kibaki. Die Kampagne erweist sich als überaus erfolgreich, die Furcht vor Bürgerkrieg, einer »Balkanisierung« des Landes und massiven Einschränkungen der Religionsfreiheit steckt zumindest in Zentralkenia fest in den Köpfen der Menschen. Politische Argumente sind im kenianischen Wahlkampf hingegen Mangelware, einleuchtende Begründungen lassen die Kibaki-Anhänger vermissen. »Der Präsident muss eine weitere Chance erhalten, um seine Arbeit erfolgreich fortzusetzen«, lautet ein Standardsatz. Auch der Einwand, dass er wesentliche Wahlversprechen wie die Schaffung einer halben Million neuer Arbeitsplätze und die Eindämmung der Korruption nicht erfüllt hat, scheint keinen Widerspruch hervorzurufen: »Er braucht eben noch eine zweite Amtszeit, um diese Ziele erreichen zu können.«
Auch gebildete Kibaki-Anhänger tun sich schwer zu beschreiben, was sie von weiteren fünf Jahren erwarten. Selbst die offene Unterstützung durch den gehassten ehemaligen Diktator Daniel arap Moi tut der Sympathie für Kibaki keinen Abbruch.
Das Land ist tief gespalten. In den zentralen Landesteilen rund um die Hauptstadt Nairobi steht die überwältigende Mehrheit hinter dem amtierenden Präsidenten, während in der Peripherie des ostafrikanischen Staates der Herausforderer teilweise mit ähnlich deutlichem Vorsprung die Umfragen anführt. Diese Spaltung spiegelt einen ethnischen Konflikt wider, der nicht erst seit der Unabhängigkeitserklärung 1963 schwelt.
In der Landesmitte leben vor allem Menschen vom Volke der Kikuyo, die während der britischen Besatzung am stärksten unter den Landnahmen englischer Kaffee- und Teefarmer litten. Die Kikuyo kämpften in vorderster Front gegen die Kolonialmacht und brachten die höchsten Opfer. Andere ethnische Gruppen konnten die Briten im Zuge ihrer Politik des Teilens und Herrschens teilweise für ihre Interessen vereinnahmen, womit sie zur Verschärfung der Spannungen beitrugen. Nach der Unabhängigkeitserklärung übernahmen die Kikuyo als Aktivisten des Befreiungskampfes die politische Macht und gaben sie seither nicht aus der Hand.
Zwar gehört Kenia heute auf dem afrikanischen Kontinent fraglos zu den Ländern, wo sich Pluralismus und bürgerliche Freiheiten am meisten entwickeln konnten. Doch die Wahlkampagnen sind erschreckend inhaltslos, Parteiprogramme spielen keine Rolle, eher handelt es sich um einen unfairen sportlichen Wettstreit zwischen einzelnen Köpfen.
Der Wahlkampf war bestimmt von tief verwurzelten Vorurteilen der Kikuyo gegenüber dem aussichtsreichsten Gegenkandidaten Odinga, einem Angehörigen der Volksgruppe der Luo aus der Gegend um den Viktoria-See. Odinga sah sich immer wieder in die Defensive gedrängt. Entscheidend für den Ausgang wird die Wahlbeteiligung in den Hochburgen der beiden aussichtsreichsten Kandidaten sein. Die Unterstützung für Kibaki erscheint geschlossen und abschätzbar. Odinga kann nur dann gewinnen, wenn die Bevölkerung außerhalb der Kikuyo-dominierten Regionen zahlreich zu den Wahlurnen strebt und so geschlossen für ihn stimmt, wie es bisherige Umfragen trotz aller Fragwürdigkeit und Meinungsmache andeuten. So erbittert die Ablehnung im zentralen Hochland, so groß die Begeisterung vor allem in der westkenianischen Heimat des sozialdemokratischen Herausforderers, der in den 60er Jahren in Magdeburg studierte und später zu den Eleven Willy Brandts gehörte.
Viele unabhängige Beobachter hoffen vor allem aus zwei Gründen auf einen Machtwechsel: um nachhaltig mit der unsäglichen Tradition vieler afrikanischer Staaten zu brechen, wo die Abwahl eines Landesfürsten undenkbar scheint; und zweitens um den gewachsenen Klientelismus zu durchbrechen und andere Bevölkerungsgruppen angemessen an der Macht im Staate teilhaben zu lassen. Raila Odinga verspricht nicht nur regionale Umverteilung und mehr Rechte für Minderheiten, sondern auch mehr soziale Gerechtigkeit.
»Für ein besseres Leben«
Das Motto des ODM-Wahlprogramms heißt »Chungwa ? Maisha Bora!« (Orange - für ein besseres Leben):
Quelle: https://www.nd-aktuell.de/artikel/121495.orange-revolutionaer-aus-magdeburg.html