nd-aktuell.de / 27.12.2007 / Brandenburg / Seite 23

Unterwegs

Theater Göttliche Samen

Anouk Meyer

Wie ist das, wenn eine U-Bahn-Fahrt zum Abenteuer wird, weil man mit dem Rollstuhl unterwegs ist, weil man blind ist und die vielen Schilder nicht lesen kann?

Um solche und andere Probleme dreht sich die Inszenierung »Der Flug« des Theaters Göttliche Samen, dessen Darsteller eines gemeinsam haben – »verschiedene Beeinträchtigungen«, wie Regisseurin Franziska Naumann es nennt. Eine Darstellerin ist blind, andere sind lernbehindert, spastisch, verhaltensauffällig, traumatisiert. »Jeder von uns hat etwas an sich, was nicht in die Gesellschaft passt«, beschreibt die blinde Silja Korn die Gruppe. Sie erzählt, dass es nicht einfach war, behinderte junge Leute für das Projekt zu motivieren. Aber Franziska Naumann und Andreas Uerlein haben geschafft, was sie sich vor anderthalb Jahren vorgenommen hatten, nämlich junge Menschen in einer Gruppe zu vereinen, die wie im Fluge auf der Bühne von ihrem Leben mit Handicaps erzählen.

Nur der Rahmen war vorgegeben, das Stück entwickelten die Darsteller selbst. Entstanden ist eine abwechslungsreiche Produktion, die den Bogen spannt von der Entstehung der Erde über die eigene Geburt bis zum Alltag und den Träumen junger Leute. Als Opfer wollen sie sich nicht sehen. Auf der Bühne sind sie Drogendealer, Rennfahrer, Street-Dancer, Urwaldforscher. Sie machen Musik mit DJ Bobo oder heiraten den japanischen Kaiser.

In kurzen Szenen berichten sie mit Humor von ihren Problemen. Von der Schwierigkeit etwa, vor dem Zahnarztbesuch erst die richtige U-Bahn, dann die richtige Haltestelle und schließlich das richtige Haus zu finden – und dann wieder zurück – mit blutendem Mund und hektischen Menschen um sich herum. Mit Witz erzählt die blinde Silja, wie sie ein hilfsbereiter, aber ungeschickter Passant am Ende versehentlich gegen einen Fahrkartenautomaten lenkte. »Super! Jetzt blutet auch noch meine Nase!« Nicht einfacher haben es Rollstuhlfahrer, die ins Kino wollen und am Alex erkennen müssen, dass der Fahrstuhl von der S-Bahn zur Straße kaputt ist. Man kann flugs zur Jannowitzbrücke fahren und von dort mit der U-Bahn zum Alex zurück. Und der Fahrstuhl am S-Bahnhof Jannowitzbrücke ist dann leider auch gerade defekt ... Solche Anekdoten sind nur geringer Teil der Inszenierung. Doch sie bleiben hängen beim »Normalzuschauer«, der sich schon ärgert, wenn die Rolltreppe nicht geht.

Handicaps beeinflussten auch die Entstehung des Stücks in der Begegnungsstätte Lebenswege in Friedrichshain. Zwei Mitwirkende mussten aufgrund persönlicher Probleme das Projekt abbrechen. Sie werden per Videoeinlagen auf die Bühne projiziert. Die anderen haben sich durchgebissen und sind voller Freude über Applaus.