nd-aktuell.de / 29.12.2007 / Kommentare / Seite 19

Der trügerische Ruhestifter

Im alten Jahr: Kriege. Im neuen Jahr: Kriege. Gedanken über eine Lösung, die leider noch immer eine zu sein scheint ...

Hans-Dieter Schütt
Harald Kretzschmar: Die Berührung
Harald Kretzschmar: Die Berührung

Alle Jahreswechsel wieder: Der Frieden wird Hauptwunsch für das neue Jahr sein. Und er bleibt deshalb die meistbeschworene Sehnsucht, weil auch in diesem ausklingenden Jahr nichts so geschunden wurde wie der – Frieden.

Krieg, heißt es, sei keine Lösung. Ja, richtig. Nein, falsch. Natürlich ist er eine Lösung. Sonst würde er nicht angedroht, vorbereitet, geführt. Selbstredend bedeutet Krieg nur eine zeitweilige Lösung, weswegen es ja immer auch regelmäßig den nächsten Krieg gibt. Ihm zugrunde liegt der Wunsch nach Unterdrückung einer Widerspruchsseite: weil man Widersprüchlichkeit, in sie verwickelt, nicht aushält. Krieg sei inhuman, heißt es. Richtig. Aber er ist gleichermaßen doch eine Möglichkeit menschlicher Natur. Nicht, weil der Mensch unbelehrbar böse ist. Es ist eher seine Sehnsucht danach, eine Angelegenheit ein für allemal, möglichst ohne Beschädigung der eigenen Position, aus der Welt zu schaffen. Etwa den Terrorismus. Das Ergebnis ist oft ein falscher Frieden.

Wahrer Frieden bestünde nämlich nicht in der Lösung eines Problems, sondern in gemeinsamer Ausbildung der Fähigkeit, mit einem Problem, sei es noch so verzweiflungsschwer, gewaltlos und auf längere Zeit leben zu können – und also auszukommen mit der elenden Bürde der Unverträglichkeiten zwischen Menschen, Parteien, Gesellschaften, Kulturen.

Frieden wäre: Zu wissen und darauf hinzuhandeln, dass jede Lösung eines Konflikts nur vorläufig ist – weil stets nur neue Konflikte vorbereitet, noch kompliziertere Problemfelder aufgemacht werden. Frieden ist nicht Ruhe, sondern Unruhe. Ruhe schafft nur der Krieg, aber nicht umsonst nennt man nachher die geklärte Lage: eine Friedhofsruhe.

1989 schrieb der Essayist Friedrich Dieckmann, besagte Unruhe des Friedens sei »die Grundbefindlichkeit produktiven Vorankommens«, so wie Krieg »der trügerische Ruhestifter der Furchtsamen« sei. »Let peace come all over the world – das meint nicht: Lasst Ruhe werden auf dem Globus. Sondern es mahnt an, Unruhe auszuhalten, ohne dabei Bedrohung zu empfinden.«

Wer sagt, Krieg sei keine Lösung, der möge sich daran erinnern, dass der Friede immer unbeliebter war als die Drohung mit Gewalt – im Namen des Friedens. Man machte nicht mit jedem freiwillig einen Frieden, weil man genau wusste: Jeder Frieden macht porös, weicht die eigenen Grenzen auf, durchlöchert schützende Mauern, lässt Köpfe heller und fragender werden. Unbequem das alles und gefährlich.

Interessant, dass es vor allem zwei Gründe waren, die den Zerfall des Römischen Reiches vorantrieben: die Barbareninvasion (mit der daraus resultierenden Verwilderung des Heeres) und die Verbreitung des Christentums. Letzteres führte zu einer Antikriegshaltung, schwächte die Verteidigungsbereitschaft, ließ die besten Militärs und Verwalter zum Klerus überlaufen. Andere Faktoren wie Wirtschaftsflaute, Ende des Patriotismus waren Konsequenzen aus den erstgenannten Gründen. Der Krieg ganz klar als Lösung: Solange das Reich seine Expansionspolitik vorantrieb, zeigte seine sozial-politische Struktur keine wesentlichen Verfallszeichen, auch wenn etwa die Germanen oder Parther bereits eine starke Bedrohung ausmachten.

Damit also muss man im wirklichen Frieden rechnen: dass man selber schwächer wird. Ambitiöse Konstruktionen aber, die Weltmächtigkeit anstreben, brauchen und suchen zu ihrer Bestandssicherung den Kitt des Militärischen. Wahrer Frieden bestünde in letzter Instanz darin, dass jede Gesellschaft, jede Kultur mit ihrer Existenz die vereinnahmende Ambition des jeweils anderen behindert. Sich gemeinsam schwach machen, das ist es!

Wahrer Frieden – vielleicht ist das zukünftig nur noch so etwas wie der unbewaffnete Krieg gegeneinander, der die natürlichen Todesarten höher schätzt als die unnatürlichen. Beruhigend ist diese Aussicht auf Schwäche natürlich nicht. Just das macht den Frieden so schwer aushaltbar, denn er fordert das Talent zur Langeweile heraus. Diese Gabe ist uns offenbar weniger ausgebildet als der Wunsch nach End-Lösungen, die bislang immer nur durch Feldzüge möglich zu werden schienen. Und was weder ökologisch noch politisch funktioniert, geschieht jedoch sehr vorbildlich im Militärischen: Da wird seit Urzeiten nämlich nie von der Hand in den Mund gelebt – stets geht der Krieg einher mit exakter Planung und Produktion der jeweils nächsten Generationen von Waffen. Das kann, so lehrt die Geschichte, leider ein nicht zu unterschätzendes gefährliches Vertrauen in einer Bevölkerung schaffen.

Jeder Frieden war angesichts dessen immer Flickschusterei. Mag deshalb merkwürdig klingen: Vor allem Kompetenzglaube gefährdet den Weltfrieden. Weil dieser Glaube die Selbstüberhebung steigert. Regierungsfähiger in Sachen Frieden macht jedoch der Komplex, sich inkompetent zu fühlen und diesen Komplex nicht zu überspielen. Heilsam wäre das Wissen darum, im Finden von endgültigen Lösungen überfordert zu sein. So sind Rosenkriege zu verhindern und Welt-Kriege auch. Herumpusseln. Lebbare Ohnmachtsfantasien entwickeln. Die Ästhetik des Widerstandes ist das eine, die Ästhetik des Unterlassens nicht minder heroisch.

Robert Musil suchte das Ich neu hinter der Eigenschaftslosigkeit; heute konnte es gut sein, wenn sich Politiker lieber mit ihrer Eigenschaftslosigkeit abfinden, als dahinter nach Heldischem zu kramen. Erst das Aufgeben von Unanfechtbarkeit ermöglicht Neuanfänge; Unanfechtbare können jenseits ihrer Hybris keine Erfahrungen mehr machen. Bush blickt in die Kameras wie ein Mensch, der uns immerfort sagen möchte, dass ihm der Weltfrieden anvertraut wurde. Das ist genau jenes Selbstbewusstsein, das Kriege ermöglicht. Der Frieden fängt wahrscheinlich erst dort an, wo Menschen von sich wissen, dass man ihnen alles anvertrauen darf – nur nicht, gänzlich ohne fremde Beihilfe, den Weltfrieden.

Was Politik im besten Falle vielleicht sein könnte nach Jahrhunderten ihrer Verderbnis durch Macht: egozentrischer Sanftmut. Nüchterner Positivismus. Jeder Frieden, der heute gefeiert wird, macht einen hektischen, unorganisierten, bisweilen zufälligen Eindruck, wenig verheißungsvoll und haltbar, immer dicht an einer Ablauffrist, die zurückwirft. Ein Stolpern. Das ist das Schrittmaß Zukunft. Krisenmanagement mit Schweiß auf der Stirn. Strategie wäre in Sachen des Friedens das Unwort der Jahre, wäre Lüge.

Wir sitzen alle im Glashaus und werfen Steine. Im kaputten Glashaus gemeinsam leben, das ist keine Lösung. Aber so sieht offenbar der einzig mögliche Frieden aus.