»Schokoladennikoläuse«

Eine kleine Sprachkritik: »aushäusig«, »Íwan« und »Back-Factory«

  • Waltraut Engelberg
  • Lesedauer: 4 Min.

Die »Schokoladennikoläuse«, die – wie wir lasen – von großer Bedeutung für die Branche waren, gab es in der Tat zahlreich wie Läuse, nur dass letztere nicht zum Verzehr bestimmt sind. Die »Schokoladennikoläuse« ließen also die »Gewinne brummen« trotz der allseits bestätigten »sozialen Schieflage« und obwohl die Steuereinnahmen nicht immer »sprudeln«.

Jetzt aber geht es darum, neu zu »sortieren«, und das betrifft nicht nur die Regale, sondern auch die Parteien und Menschen. Die »SPD muss sich neu sortieren«, erfuhren wir. Und das nicht nur, weil sie den Münte, das »Urgestein«, verloren hat, der Münte, sagt Kurt Beck, wäre ja auch ein »Scharnier« gewesen. Vielleicht ist der Clement auch ein »Scharnier« gewesen. Vielleicht ist der Clement auch ein »Scharnier«, das jetzt in Richtung FDP dreht?

Da hat der Beck, der übrigens eine überzeugende Vorlage für einen der vielen Weihnachtsmänner abgegeben hätte, seiner Partei auf jeden Fall eine schöne Bescherung gebracht. Ob er sich da selbst einen Floh ins Ohr gesetzt hat oder der SPD Läuse in den verschlissenen Pelz, das wird sich noch zeigen. Auf jeden Fall wird man die SPD nicht mehr als von den populistischen Linken getrieben ansehen können, wenn Beck nun in die Arme der FDP eilt, weil er bei der viele »Schnittmengen« entdeckt hat. Ausnahmsweise sei der Ausdruck »Schnittmenge« gelobt. Er erinnert so an Wurstaufschnitt mit großen und kleinen Scheiben, ungleich im Format, verschieden im Geschmack und von jedem ganz nach Belieben zu verzehren. »Im Hintergrund«, so schwadroniert Tiefensee, war ihm immer daran gelegen, dass Parteien aufeinander »zugehen«. Man muss ja wohl, denn es fehlen halt allerorts Leute, die man bei den Politikern grad so wie bei den Fußballern »einkaufen« muss. Das ist so, wie ein Hertha-Profi bedauernd über seine Mannschaft feststellt: »Wir haben fußballerisch nicht mehr die Klasse wie in den Jahren zuvor.« Allerorts geht's ums Sortieren, ums Umsortieren und Neusortieren. Das betrifft dann auch die privaten Bereiche. So lesen wir etwa, die Noch-Ehefrau des baden-württembergischen Ministerpräsidenten »habe angeblich seit Monaten eine »aushäusige Liebesbeziehung«. Warum »aushäusig«, wird nur von der Gegend her verständlich, wo das »schaffe, schaffe, Häusle baue« als Leitmotiv des Lebens gilt. Da ist eben eine »aushäusige« Beziehung noch gewichtiger als eine außereheliche. Wenn's aber schief geht mit den Beziehungen und die Männer die Frauen dann sogar verprügeln, dann gibt es eine »Wegweisung«, was aber nicht mit einer Weisung des Weges zu tun hat – die Bürokratensprache brachte es nicht anders zustande –, es bedeutet, dass der Mann für 14 Tage aus der Wohnung verwiesen wird.

Wer hat nicht schon einmal ein amtliches Schreiben erhalten, das er sich erläutern lassen musste? Man könnte durchaus Übersetzer für die Bürokratensprache ins Allgemeinverständliche anstellen. Eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme!

Doch nicht nur was gesagt wird, lässt aufhorchen, auch wie es ausgesprochen wird, das kann mancher Nachrichtensprecher offenbar immer noch nicht richtig »sortieren«, besonders betrifft dass das Russische. Wie oft hören wir doch den Namen Wládimir mit falscher Betonung auf der ersten Silbe, obwohl der Nachdruck auf der zweiten Silbe Wladímir liegen muss. Dann ist da noch der Íwan oder der Bóris, alles häufig falsch mit Betonung auf der ersten Silbe ausgesprochen, wie wir's eben im Deutschen gewöhnt sind. Doch das ist ein besonderes Kapitel.

Aber auch im oft gebrauchten Englischen leisten wir uns allerhand, wenn da etwas mit deutschem Präfix »gedownloaded« wird, oder ein Geschäft ist »close« statt »closed«. Und deutsch-englische Zwitterformen sind für englischsprachig versierte Leute, wie es ein Bekannter von mir ist, geradezu eine Barriere. »Back-Factory«, sagte ich ihm. Darauf meinte er, die Fabrik liege zurück, also hinten. Sie lag aber vorn an der Straße, das Backen war deutsch zu verstehen, der Betrieb englisch. Übrigens habe ich in der Back-Factory auch »Nikoläuse« gesehen, rasch zum Verzehr bestimmt, denn man muss neu »sortieren« für die Osterhasen. Und wenn alle, die an diesen Feiertagen Weihnachtsmänner gespielt haben, von Marathonläufern bis zu Verkehrspolizisten und sogar Kosmonauten, dann als Osterhasen herumhüpfen, dann gehen wir im Neuen Jahr fröhlichen Zeiten entgegen. Mit oder ohne »Handy« am Ohr!

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