Die Sehnsucht nach dem Rudel

Zur Seele: Erkundung mit Schmidbauer

  • Lesedauer: 4 Min.
Dr. Wolfgang Schmidbauer arbeitet als Psychoanalytiker und Autor in München
Dr. Wolfgang Schmidbauer arbeitet als Psychoanalytiker und Autor in München

So paradox es klingt: Während Therapeuten sich bemühen, in ihrem Sprechzimmer ein möglichst aggressionsfreies, von Akzeptanz und Herzlichkeit bestimmtes Klima zu schaffen, ist doch die gescheiterte Verarbeitung von Wut und Hass das wohl wichtigste Thema in ihrer Arbeit. So lange es etwa darum geht, stumm verschluckten Gram in offenen Streit zu verwandeln und aus einer pflegeleichten Depressiven eine schwierige Person zu machen, geht die Arbeit ihren heilsamen Gang.

Auch dieser kann in die Irre führen oder plötzlich nicht weiter fortschreiten. So ist es in aller Regel viel leichter, einen vorhandenen Partner als taube Nuss oder Beißzange zu entwerten, als einen besseren aufzutreiben. Und wenn die Therapeutin oder der Therapeut solche Verheißungen angedeutet und vielleicht zu einer voreiligen Trennung beigetragen haben, trifft sie später der Zorn der Vereinsamten. In den USA, wo prozessfreudige Juristenhaie nach fetten Haftpflichtfischen jagen, wurden Ehetherapeuten bereits vor Gericht geladen und zu Schadensersatz verurteilt.

Noch schwieriger und manchmal gänzlich unmöglich ist die Paartherapie, wenn nicht geredet, sondern geschlagen wird. Es sind meist Männer, die sich ihren Partnerinnen verbal oder moralisch unterlegen fühlen und diese Schwäche nicht ertragen, sondern sich an der rächen, die ihnen den Spiegel vorhält. In solchen Fällen ist im Grunde kein Therapeut zuständig, sondern ein Vertreter des staatlichen Gewaltmonopols. Aber der Therapeut würde nicht aufgesucht, wenn die Opfer diesen Entschluss fassen könnten. Schweigt er und wartet ab, wirkt er wie ein Komplize. Fordert er zu dringlich, die Polizei einzuschalten, verliert er unter Umständen den Kontakt zu seiner Klientin, die schließlich genau weiß, dass es diese Möglichkeit gibt, sich aber dennoch nicht für sie entscheiden kann.

So bleibt dem Therapeuten nur die Forschung. Warum lassen sich Menschen erniedrigen und beeinträchtigen, ohne den Schutz des Gesetzes zu suchen? Bekannt ist zunächst einmal, dass geschlagene und dadurch erniedrigte Personen sich ihrer Situation so schämen, dass sie lieber den Täter decken als sich zu exponieren. Je ärmer sich das Opfer fühlt, desto mehr Falschgeld möchte es ausgeben, um allen zu beweisen, dass die Familie ganz in Ordnung ist.

So entstehen Teufelskreise: Oft verpricht ein reuiger Schläger eine Liebesbeziehung, mit der verglichen die Angebote anderer Partner kalt und karg wirken. Und wer es schon länger gewohnt ist, mit Falschgeld zu hantieren, verliert den Sinn für ehrliche Geschäfte.

Wer sich in die Psyche der Opfer vertieft, entdeckt oft auch in ihr die Sehnsucht nach dem Rudel, nach einer von Emotionen beherrschten Welt, in welcher der Stärkere den Ton angibt und die Schwächeren verächtlich sind. Wer schwach ist, hat eben Pech gehabt. Die erniedrigte Partnerin denkt dann lieber darüber nach, selbst einen kräftigeren Schläger anzuwerben oder sich in Karate fortzubilden, als der Staatsgewalt mitzuteilen, was in ihrem Leben den Grundsätzen der Zivilgesellschaft widerspricht.

Wenn du mich liebst, darfst du mich doch nicht der Polizei verraten – das werde ich dir nie verzeihen, ich werde mich mit allen Mitteln rächen, du weißt ja, wie ich sein kann! So die Täter. Das Opfer aber müsste sagen: Gerade um der Liebe willen kann ich nicht zulassen, dass du das höchste Gut der Zivilgesellschaft ignorierst und nicht die Freiheit, sondern die Gewalt zur letzten Instanz unserer Liebe machst!

Niemand kann in einer modernen Gesellschaft einen anderen Menschen auf lange Sicht mehr lieben als die Freiheit. Die dumpfe Wärme des Rudels schützt nicht vor Kränkung und Scham; sie macht diese nur unbezwinglich. Wer Menschen bedroht, um ihnen seinen Willen aufzuzwingen, liebt nur sich selbst. Er setzt seine Eitelkeit über die Liebe. Daher vermag die Liebe hier nichts auszurichten; das Gesetz jedoch sehr wohl.

Vielleicht sind solche Probleme in Deutschland besonders virulent. Dass die Polizei Freund und Helfer ist, glauben vorwiegend die PR-Abteilungen der Staatsmacht. Die Bürger haben andere Erfahrungen, Gestapo und Stasi sind als traumatische Möglichkeiten nicht vergessen. Polizisten sind oft unerfahren und manchmal schlecht ausgebildet. Ihnen jedoch vorzuwerfen, dass sie nicht intelligent genug mit komplexen Situationen umgehen, halte ich für blauäugig.

Am Krisenmanagement scheitern auch hochbezahlte und handverlesene Experten. Die Polizei soll auch gar keine gute Lösung sein, sondern das kleinere Übel. Polizisten brauchen ein Minimum an Anerkennung und Kooperation, um ihre mühsame, undankbare und nicht sonderlich gut bezahlte Arbeit zu leisten. Dann ist selbst ein durchschnittlicher Wachtmeister dem Faustrecht im Rudel bei weitem vorzuziehen.

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