Sinn oder Unsinn?

Die Debatte um den Mindestlohn erhitzt weiter die Gemüter

  • Ina Beyer
  • Lesedauer: 3 Min.
Die Debatte um den Mindestlohn setzt sich fort. Seine Widersacher drohen mit massenhaftem Arbeitsplatzverlust, seine Befürworter sind sich noch uneins, ob die flächendeckende oder die branchenbezogene Version die bessere Alternative darstellt.

Die jüngste Idee des Wirtschaftsweisen Bert Rürup vom allgemeinen Mindestlohn von 4,50 Euro bezeichnet der Chef der Gewerkschaft IG BCE, Hubertus Schmoldt, als »Hungerlohn«. Solche Mindestlöhne müssten immerzu staatlich aufgestockt werden, argumentiert Schmoldt gestern in einem Medienbericht. Bundespräsident Horst Köhler weiß nun nicht, ob die von ihm unterzeichnete Aufnahme der Briefträger ins Entsendegesetz »eine rundum gelungene Antwort« auf die schwierigen mit dem Thema verbundenen Fragen sei. Ein Mindestlohn, den der Arbeitgeber nicht zahlen könne, vernichte Arbeitsplätze, sagt er in der heutigen Ausgabe der FAZ. Auch bei der Verlängerung des ALG I fehlt Köhler die Überzeugung.

Andere sind da meinungsstärker, etwa der Präsident des Ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung, Hans Werner Sinn. Der hält die Forderung, dass jeder von seiner Hände Arbeit leben können müsse, für den »dümmsten Spruch des Jahres«. In der gestrigen Ausgabe der Süddeutschen Zeitung verteidigt er das Hartz IV-System und plädiert für staatliche Gehaltsaufstockungen statt voraussichtliche Millionen weitere Arbeitslose, die der Mindestlohn nach sich ziehen werde, vollzufinanzieren.

Auch der Präsident des Industrie- und Handelskammertages (DIHK), Ludwig Georg Braun, befürchtet, dass Branchenmindestlöhne »in ihrer schädlichen Wirkung einem einheitlichen gesetzlichen Mindestlohn nicht nachstehen werden«. Braun stimmt mit Sinn überein, dass Mindestlöhne die Arbeitslosigkeit besonders bei gering Qualifizierten ansteigen lasse. Wieder andere halten Sinns Thesen dagegen für kompletten Unsinn. DGB-Chefökonom Dierk Hirschel kritisiert gegenüber ND, die Thesen des Ifo-Chef lägen fern jeglicher Empirie und seien nicht belegbar. »Gerade im strukturschwachen Osten können die wenigen Arbeitgeber die Lohnhöhen beliebig festlegen.« Deshalb ginge es mit der Einführung eines Mindestlohns überhaupt erst darum, »Augenhöhe« zwischen beiden herzustellen. Die These der benachteiligten gering Qualifizierten sei nicht haltbar: »Vier von fünf Beschäftigten im Niedriglohnsektor sind gut qualifiziert.«

Der DGB-Landeschef von Sachsen-Anhalt, Udo Gebhardt, zieht für seine Region traurige Bilanz: 5,9 Prozent der Arbeitnehmer dort gehören zu den »Aufstockern«, die staatliche Leistungen zusätzlich zum Verdienst beziehen. Vor zwei Jahren seien es noch 3,9 Prozent gewesen – für Gebhardt Zeichen der allgemeinen Entwicklung zu Niedriglöhnen.

Die FDP macht erwartungsgemäß weiter Front gegen den Mindestlohn. Die CDU müsse der Forderung danach widerstehen, sagt FDP-Generalsekretär Dirk Niebel in der Berliner Zeitung vom heutigen Freitag. Dessen Einführung bedeute »die Abkehr von der sozialen Marktwirtschaft von Ludwig Erhard und die Hinwendung zum staatlichen Lohndiktat«.

Die LINKE will bei ihrer Forderung nach einer flächendeckenden Lohnuntergrenze von mindestens 8 Euro bleiben, »weil nur so das Existenzminimum gesichert werden kann«, so Geschäftsführer Dietmar Bartsch. Die SPD habe nun mit Verspätung auch die Zeichen der Zeit erkannt. Bartsch forderte die Gewerkschaften auf, keine Ost-West-Unterschiede beim Mindestlohn zuzulassen.

Hubertus Schmoldt dagegen ist gegen einen allgemeinen Mindestlohn in der Fläche. Dieser bedrohe am Ende die Tarifautonomie und viele Arbeitgeber würden sich überlegen, die Tarifbindung zu verlassen, sagt Schmoldt der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung. Stattdessen plädiert er dafür, Lohnuntergrenzen in den einzelnen Branchen auszuhandeln. »so wie jeder Tarifvertrag auch«.

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