Versuchte Ehrenrettung für einen Nazidichter

Nach Jahrzehnten des Streits um die Rolle Wilhelm von Scholz' ergreift Rolf Hochhuth Partei – und zwar die falsche

  • Holger Reile
  • Lesedauer: 5 Min.
Der Konstanzer Friedhofsbeirat will das Familiengrab des Dichters Wilhelm von Scholz (1874 – 1969) einebnen lassen. Das hat nun den Dramatiker Rolf Hochhuth auf die Palme gebracht.

Bis 1989 wurde an Konstanzer Schülerinnen und Schüler für die beste Abiturarbeit im Fach Deutsch der Wilhelm-von-Scholz-Preis verliehen. Dann aber wollten plötzlich zwei ehemalige Schüler »ganz offiziell« den an sie verliehenen Preis zurück geben. Sie hatten sich über Scholz' Aktivitäten während des Dritten Reichs schlau gemacht und kamen zu der Auffassung, er tauge nicht als Vorbild für die Jugend. Er sei »mehr gewesen als ein sogenannter Mitläufer«.

Die Stadtverwaltung unter dem damaligen Oberbürgermeister Horst Eickmeyer hüllte sich erstmal in Schweigen. Nach massiven Protesten aus Teilen der Bevölkerung wurde der Preis dann kurz darauf still und leise beerdigt.

Scholz' Vater war der letzte Finanzminister Bismarcks, und nach dessen Rücktritt siedelte sich die Familie am Konstanzer Bodenseeufer auf »Villa Seeheim« an. Kurz vor der Jahrhundertwende veröffentlichte der junge Wilhelm seine ersten Gedichte. Von 1916 bis 1922 arbeitete von Scholz als Schauspieler, Dramaturg und Spielleiter am Stuttgarter Hoftheater. Von 1923 bis 1928 stand er als Präsident der Sektion Dichtung der preußischen Akademie der Künste vor. 1951 wurde er zum Ehrenpräsidenten ernannt.

»Ausgetrockneter« Dichter

Über sein Schaffen zwischen den Jahren 1933 und 1945 ist auch in entsprechenden Nachschlagewerken wenig zu erfahren. Dabei war Wilhelm von Scholz in jenen Zeiten durchaus aktiv. Zwar ließ er in späteren Jahren keine Gelegenheit aus, um zu erklären, dass die braunen Machthaber ihm und seinem dichterischen Werk ablehnend gegenübergestanden hätten – von »literarischer Austrocknung« war da sogar die Rede –, aber die Fakten zeichnen ein anderes Bild.

Gesamtausgaben wurden herausgegeben, Gedichte, Erzählungen Novellen. Wilhelm von Scholz' Hörspiele waren regelmäßig im Reichsfunk zu hören, verschiedene Schauspiele kamen auf die Bühne. Distanz zum Nationalsozialismus? Im Gegenteil: Am 19. Juli 1944 erging aus Joseph Goebbels »Propagandaministerium« eine Weisung an das Reichsfinanzministerium: »Betrifft: Ehrengabe«. Und weiter im Text: »... hat der Führer sich damit einverstanden erklärt, dass ... der Dichter Wilhelm von Scholz ... eine steuerfreie Zuwendung von 30 000 Reichsmark erhält«. Wilhelm von Scholz revanchierte sich umgehend.

Ebenfalls im Juli 1944, zu einem Zeitpunkt, als Millionen Juden deportiert oder in den Konzentrationslagern umgebracht wurden und die begonnene Invasion der Aliierten das nahe Ende des Naziterrors ankündigte, veröffentlichte von Scholz in der Konstanzer »NS-Bodensee-Rundschau« ein Gedicht mit dem Titel »Eherne Tafel«. Der von »literarischer Austrocknung« bedrohte Dichter damals: »In ihm ist das Volk auf die Tat vereidigt/ Um ihn wird das Volk von allen Völkern beneidet/ Grabt in Erz das Wort/ und erbt es fort/ Ist solch ein Führer zum Volk gekommen/ dann wird statt Jahrwerks/ das Jahrtausendwerk wieder aufgenommen«.

Das Jahrtausendwerk zerbarst, aber Wilhelm von Scholz schlängelte sich unbeschadet in die neue Republik. Seine Popularität war zumindest in Konstanz ungebrochen, und dass von Scholz vor allem in den letzten Kriegsjahren ohne Not Hymnen auf »Reich« und »Führer« verfasst hatte, war schon Anfang der fünfziger Jahre kein besonderes Thema mehr.

Das alles hätte Rolf Hochhuth wissen können, und so muten seine Äußerungen, von Scholz' Kritiker verhielten sich »pharisäerhaft« und entstammten einer »selbstgerechten Enkel-Generation«, zumindest seltsam an, er scheint die Fakten nicht zu kennen. Dass er, wie er in einem offenem Brief verlauten lässt, seine Kritik an der Einebnung des Grabes von Scholz' auch im Namen der »Berliner Akademie der Künste« äußert, verwundert zusätzlich.

»Christlich begegnen«

1959 wurde zum 85. Geburtstag des Dichters der Wilhelm-von-Scholz-Preis ins Leben gerufen. Fünf Jahre später beschloss der Konstanzer Gemeinderat, von Scholz zu seinem 90. Geburtstag das Ehrenbürgerrecht zu verleihen. Die Planungen zu diesem festlichen Anlass waren schon angelaufen, da wagte ein Journalist, auf von Scholz' NS-Vergangenheit hinzuweisen. Prompt zog sich der Dichter schmollend in seine Villa zurück und ließ Oberbürgermeister Bruno Helmle wissen, dass er sich und sein Werk nicht einer öffentlichen Diskussion in »Unsachlichkeit und Leidenschaft« aussetzen wolle. Von Scholz verzichtete tief gekränkt auf Ehrenbürgerrecht und Festbankett.

Von Scholz starb 1969, kurz darauf wurde der nach ihm benannte Preis ins Leben gerufen. Daran störte sich rund 20 Jahre lang niemand. Als dann 1989 die Debatte um den Preis begann, setzte sich der Konstanzer Kulturamtsleiter Dr. Lothar Klein vehement für den Dichter ein. Klein wollte an der Preisvergabe unbedingt festhalten: »Leichenfledderei ist das«, monierte er. Von Scholz habe zwar »dieses oder jenes geschrieben, aber niemandem etwas zuleide getan«. Man solle dem Verstorbenen »christlich begegnen« und nicht vergessen, dass von Scholz »gewisse Texte« nur deshalb geschrieben habe, »um sich und seine Familie zu schützen«. Eine Einlassung, derer sich nun auch Rolf Hochhuth bedient.

Auch Heinz Weidenfeld, nach dem Tode von Scholz' Witwe Testamentsvollstrecker und Vorsitzender der Konstanzer Volksbühne, schlug ähnliche Töne an. Wer die Zeit damals nicht miterlebt habe, ließ er auf dem Höhepunkt der Auseinandersetzung verlauten, könne und dürfe nicht urteilen. Außerdem habe von Scholz »vielen gefährdeten jüdischen Mitbürgern, ja ganzen Familien zur heimlichen Ausreise aus Deutschland verholfen«. Eine Behauptung, die, so der eindeutige Stand der Forschung, jeder Grundlage entbehrt.

Kein Anlass für Erinnerung

Schon Ende der achtziger Jahre hatten Historiker ihre eindeutige Kritik an der Person des umstrittenen Dichters formuliert. Einig war man sich darin, dass Wilhelm von Scholz kein Vorbild sein kann und sicher nicht nur ein harmloser Nazi-Mitläufer war. Dass nun sein Grab eingeebnet werden soll, ist ein normaler Vorgang, da es offensichtlich keine Nachkommen gibt, die Interesse am Fortbestand der Grabstätte haben. Wäre von Scholz Konstanzer Ehrenbürger, würde die Stadt die Kosten übernehmen. Wie zu hören ist, kann man damit rechnen, dass das Thema spätestens im Februar den Konstanzer Gemeinderat erneut beschäftigen und Wilhelm von Scholz auch fast 40 Jahre nach seinem Tod noch einmal die Gemüter erhitzen wird.

#ndbleibt – Aktiv werden und Aktionspaket bestellen
Egal ob Kneipen, Cafés, Festivals oder andere Versammlungsorte – wir wollen sichtbarer werden und alle erreichen, denen unabhängiger Journalismus mit Haltung wichtig ist. Wir haben ein Aktionspaket mit Stickern, Flyern, Plakaten und Buttons zusammengestellt, mit dem du losziehen kannst um selbst für deine Zeitung aktiv zu werden und sie zu unterstützen.
Zum Aktionspaket

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal