Nachtwächter

Jeff Lammel / Der 20-Jährige ist vermutlich jüngster Nachtwächter der BRD

Personalie: Nachtwächter

Im Mittelalter zogen Nachtwächter durch die Gassen und sorgten für Ruhe und Ordnung. Auch heute gibt es in etlichen Städten Nachtwächter. Sie haben allerdings eine andere Aufgabe. Sie führen Rundgänge mit Touristen an. Es gibt eine europäische Zunft und eine deutsche Gilde der Nachtwächter. Der 20-jährige Jeff Lammel aus Schönebeck/Elbe (Sachsen-Anhalt) ist der wahrscheinlich jüngste Nachtwächter Deutschlands – jedenfalls kennt er selbst keinen jüngeren.

Seit einem Jahr betätigt sich Lammel in seiner Freizeit als Nachtwächter. Zunächst schaute er erfahrenen Kollegen über die Schulter. Seit März 2007 führt er allein Gruppen durch den historischen Kern des Schönebecker Ortsteils Salzelmen. Hier brachten es einst die Pfänner zu Reichtum, indem sie Sole förderten und Salz siedeten. Jeff Lammel absolviert eine Ausbildung zum Einzelhandelskaufmann, befindet sich jetzt im zweiten Lehrjahr. Als Nachtwächter läuft er im Schnitt jeden zweiten Abend los, macht manchmal zwei Touren hintereinander.

Das Geld, das er sich damit verdient, spart er für seinen großen Traum. Lammel möchte Schauspieler werden und dafür ab 2009 studieren – am liebsten in Berlin, Hamburg, Rostock oder Leipzig. »Im November beginnen die Aufnahmeprüfungen«, erzählt der 20-Jährige, der beinahe mal in einem ZDF-Fernsehfilm mitgespielt hätte. Aber weil er nicht frei bekam, musste er die kleine Rolle abgeben. Wenn Lammel zum Studium zugelassen wird, verlässt er seinen Geburtsort. »Da werden bestimmt auch Tränen fließen, aber anders geht es nicht.«

Da ist Lammel übrigens keine Ausnahme. Seit 1990 verließen viele auf der Suche nach Arbeit und Ausbildungsplätzen ihre Heimatstadt. Dieses Schicksal teilt Schönebeck mit so vielen Kommunen in Ostdeutschland. Es gibt viel weniger Nachwuchs als früher und so nimmt es nicht Wunder, dass der Nachtwächter-Rundgang da vorbeiführt, wo eine Schule abgerissen, ein Kindergarten geschlossen wurde. Von den großen Industriebetrieben wie dem Traktorenwerk, wo zu DDR-Zeiten Tausende ihre Brötchen verdienten, weiß Lammel wenig. Als die Mauer fiel und es mit dem Industriestandort abwärts ging, war er noch ein Kleinkind.

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