Gegen das Vergessen von Unrecht und Verbrechen

Jugendliche aus Polen, Tschechien und Deutschland füllen journalistische Lücken aus der NS-Zeit

  • Jürgen Amendt
  • Lesedauer: 2 Min.
Wenige Tage vor dem Holocaust-Gedenktag stellte gestern der Verein »step 21« in Berlin die zweite Ausgabe der Zeitung »step 21 [Weiße Flecken]« vor. 70 Jugendliche aus Polen, Tschechien und Deutschland präsentieren darin ihre Forschungsergebnisse zu NS-Verbrechen und zum Umgang damit in ihren Heimatländern nach 1945.

»Die Verantwortung der jungen Generation liegt nicht darin, sich für die Geschichte zu schämen, sondern sich ihr zu stellen«, benennt Sonja Lahnstein-Kandel, Geschäftsführerin von »step 21«, das Leitmotiv des Zeitungsprojektes. »step 21« ist eine Initiative, die 1998 als Reaktion auf die zunehmende rechtsextremistische Gewalt in Deutschland ins Leben gerufen wurde und sich zum Ziel gesetzt hat, demokratische Grundwerte wie Toleranz, Verantwortung und Zivilcourage zu fördern.

70 Jugendliche aus Polen, Tschechien und Deutschland haben sich im zurückliegenden Jahr auf Spurensuche nationalsozialistischer Verbrechen in ihren Heimatländern begeben. Die Jugendlichen haben in mehreren Teams bislang un- oder wenig bekannte Ereignisse während der NS-Zeit dokumentiert. Sie durchforsteten Archive und führten Gespräche mit den letzten noch lebenden Zeitzeugen. Unterstützt wurden sie dabei von ehrenamtlich tätigen Journalisten und Historikern.

In Dresden haben sich beispielsweise die jungen Menschen mit den beiden Bücherverbrennungen im März und Mai 1933 auseinandergesetzt. Sie sind dabei auch der Frage nachgegangen, warum viele Menschen freiwillig ihre Bücher zum Verbrennen ablieferten und nach 1945 viele den Mantel des Schweigens über die Geschehnisse legen wollten. Die weiteste Anreise zur Präsentation der Zeitung hatten die Jugendlichen aus dem ostpolnischen Przemysl, die sich mit den Folgen der Teilung der Stadt durch den Hitler-Stalin-Pakt von 1939 bis 1941 beschäftigten. In Filderstadt folgten Schülerinnen und Schüler den Spuren des NS-kritischen Pfarrers Heintzeler. In Prag ergründete das Team »Vorwärts mit Mut« die Folgen des Attentats auf Reinhard Heydrich.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), die von den Jugendlichen das erste Leseexemplar der Zeitung überreicht bekam, rief dazu auf, die Erinnerung an die Geschichte wach zu halten. Die jüngere Generation habe immer seltener die Gelegenheit, Eindrücke durch Gespräche mit Zeitzeugen zu sammeln. Diese Chance müssten die jungen Leute nutzen, meinte Merkel. Oft sei es aber nicht der Unwille der Jugend, sich der historischen Verantwortung zu stellen, sondern das Schweigen der mittleren und älteren Generation über das Unrecht während der NS-Zeit.

Die erste Ausgabe von »step 21 [Weiße Flecken]« erschien 2006. Die zweite Ausgabe wird ab heute bundesweit an Schulen und Jugendeinrichtungen verschickt. Eine speziell für pädagogische Zwecke entwickelte Handreichung für die Arbeit mit der Zeitung soll andere Jugendliche dazu motivieren, sich mit der NS-Geschichte ihres Heimatortes auseinanderzusetzen. In die beteiligten Nachbarländer geht die Zeitung samt polnischem und tschechischem Extrablatt.

www.step21.de

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