Narco-Villen im Visier der MST

Durch unkonventionelle Besetzungen versuchen Landlose, Brasiliens Landreform zu forcieren

  • Gerhard Dilger, Guaíba
  • Lesedauer: 4 Min.
Brasiliens Landlosenbewegung hat neue Objekte für die Agrarreform ausgemacht: konfiszierte Grundstücke von Drogenhändlern.
Nachwuchs der Landlosenbewegung MST auf der »Fazenda Finca«
Nachwuchs der Landlosenbewegung MST auf der »Fazenda Finca«

Die geräumige, malerisch auf einer Anhöhe gelegene Villa samt kleinem Pool ist rundum von saftig grünen Eukalyptusplantagen umgeben. Bis zur asphaltierten Landstraße sind es 17 Kilometer. Am Horizont lässt sich an diesem Sommernachmittag die Skyline von Porto Alegre gut ausmachen.

Nun ist die Einfahrt zum 129 Hektar großen Anwesen mit roten Fahnen verziert, und Großzelte aus Bambusstauden und schwarzen Plastikplanen säumen den Weg zur Villa. Dort tollen ärmlich gekleidete Kinder in den Bäumen, am Rande des Pools halten 30 meist jüngere Menschen eine Versammlung ab. 500 Mitglieder der Bewegung der landlosen Landarbeiter (MST) halten das Landgut besetzt, das bis eben noch dem kolumbianischen Drogenboss Juan Carlos Ramírez Abadía gehört hat. Gerade ist die Nachricht gekommen, dass sich auf einer Zwangsversteigerung ein Käufer gefunden hat: Für umgerechnet 330 000 Euro wechselt die »Fazenda Finca« den Besitzer.

Das Landgut im südbrasilianischen Bundesstaat Rio Grande do Sul ist eine von zahlreichen Immobilien des 44-jährigen Drogencapos, der derzeit in Campo Grande einsitzt, der Hauptstadt des brasilianischen Agrarstaates Mato Grosso do Sul. Auf 1,8 Milliarden Dollar schätzt das USA-Außenministerium das Vermögen von Ramírez alias »Chupeta« (Lutscher) . Als ehemaliger Chef des Norte-del-Valle-Kartells bei Cali ist er ein ganz großer Fisch.

In den Tagen zuvor war der Kokain-Mafioso mit seinem Versuch in die Schlagzeilen geraten, bei den Justizbehörden eine Auslieferung in die USA zu erwirken – ein in der Branche unüblicher Wunsch. Die in ihrer Heimat einsitzenden »Narcos« setzen gewöhnlich sämtliche Hebel in Bewegung, um gerade dies zu verhindern – ist ihnen doch in den USA eine Gefängnisstrafe ohne Bewährung garantiert.

»Er hält es im brasilianischen Gefängnis nicht mehr aus«, frohlockte das kolumbianische Wochenmagazin »Semana«. Doch der durch zahlreiche Gesichtsoperationen verunstaltete Drogenboss spekuliert offenbar auf kräftigen Strafnachlass als Gegenleistung dafür, dass er auspackt. Auch gegenüber einem brasilianischen Richter winkte er mit Hinweisen auf Komplizen und Millionen spurlos verschwundener Drogendollars. Als ersten Schritt wünschte er sich eine Verlegung in eine andere Haftanstalt. Doch aus dem Deal wurde – zunächst – nichts.

Im vergangenen August war »Chupeta« in São Paulo festgenommen worden, worauf seine Komplizen in Südbrasilien offenbar überstürzt das Weite suchten. Ihre Verstecke über dem Kamin und in einer holzverkleideten Innenwand der Landvilla ließen sie aufgerissen zurück.

»Mit der Besetzung wollen wir darauf hinweisen, dass im brasilianischen Agrobusiness viel Drogengeld gewaschen wird«, sagt Luciana da Rosa. »Diese Ländereien könnten an die Landlosen verteilt werden.« Die dunkelblonde 25-Jährige mit der roten MST-Schirmmütze ist eine der Sprecherinnen der Besetzer.

Allein in Mato Grosso do Sul, einem notorischen Schmugglerparadies nördlich von Paraguay, hat die Justiz im letzten Jahr 85 Landgüter mit einer Gesamtfläche von 385 000 Hektar beschlagnahmt – weitaus mehr, als Präsident Lula für die Agrarreform zur Verfügung stellte. 2007 haben nur 70 000 Familien ihren eigenen Grund und Boden bekommen, im Vorjahr waren es noch doppelt so viele. »Wir sind nicht an Quantität interessiert, sondern an Qualität«, rechtfertigte sich Minister Guilherme Cassel dieser Tage. 467 Millionen Euro habe man an Krediten und für die Infrastruktur bereits bestehender Siedlungen ausgegeben, mehr als je zuvor.

Wegen hoher Weltmarktpreise für landwirtschaftliche Exportprodukte wie Zucker oder Soja sei eine »Gegenreform« mit zunehmender Landkonzentration zu beobachten, sagen hingegen die MST-Aktivisten. Nach ihren Schätzungen campieren derzeit in ganz Brasilien 150 000 Landlosenfamilien am Straßenrand, im Großraum Porto Alegre sind es 700.

»Ohne öffentlichen Druck läuft nichts«, weiß Luciana, die bereits als Dreijährige in MST-Camps gewohnt hat. »Im November hat die Regierung versprochen, bis April im Bundesstaat 1000 Familien anzusiedeln, bis Ende 2007 noch einmal so viele. Jetzt wollen wir Taten sehen.« Die Idee mit der »Narco-Fazenda« sei ihnen erst vor ein paar Tagen gekommen, erzählt sie. »Doch die Agraringenieure des Ministeriums haben festgestellt, dass das Grundstück für die Landwirtschaft zu steinig ist und die einheimischen Bäume erhalten bleiben sollen«, sagt Luciana und nimmt einen Schluck Matetee aus ihrer Kürbistasse. »Daraufhin haben wir vorgeschlagen, dass hier eine Reha-Klinik für drogenabhängige Jugendliche eingerichtet wird. Aber dafür ist es jetzt wohl zu spät.«

Es wäre nicht das erste Mal gewesen, dass Mafialand der Landreform zugeführt wird. Westlich von Porto Alegre, auf dem gut 900 Hektar großen Gut »Cabanha Dragão«, lassen sich gerade 72 Landlosenfamilien nieder. Der vormalige Besitzer war 2004 unter dem Verdacht auf Waffen- und Drogenhandel festgenommen worden, 2005 besetzte die MST das Gut, und vor vier Monaten kaufte es das Ministerium für landwirtschaftliche Entwicklung.

Mit dem Medienecho auf ihre Aktion sind die Besetzer der »Fazenda Finca« zufrieden. Noch bevor ihnen der Räumungsbefehl ausgehändigt wurde, bauten sie ihre Zelte wieder ab und kehrten in ihre Basiscamps nördlich von Porto Alegre zurück. »Unsere Mobilisierungen gehen weiter«, kündigt Luciana an. »Und was die Drogenvilla betrifft: Wer der Käufer ist, wissen wir noch nicht. Auf jeden Fall wollen wir darauf achten, dass dieses Land nicht an den Zellstoffmulti Aracruz fällt.«

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