nd-aktuell.de / 29.01.2008 / Wirtschaft und Umwelt / Seite 12

Der Générale-Verdacht

Frankreichs Bankenskandal verweist auf Fehler im System

Kurt Stenger
Trotz der zahlreichen Skandale mit umfangreichen Fehlspekulationen ist die Risikokontrolle von Banken noch immer lückenhaft.

Es ist wie bei Spielsüchtigen im Casino: Haben sie ihren mitgebrachten Einsatz verspielt, belassen sie es nicht dabei, sondern besorgen sich zusätzliches Geld, um den Einsatz zurückzugewinnen. Erst dann kommt es gewöhnlich knüppeldick. Nach einem ähnlichen Muster spielten sich die großen Fehlspekulationen in der Finanzbranche der letzten Jahre ab. Die Börsenhändler verloren Geld und versuchten dann, es durch immer riskantere Wetten zurückzuholen, die dann platzten.

Es gibt aber einen wichtigen Unterschied zum Spielcasino: Broker zocken nicht mit eigenem Geld, sondern mit Einlagen von Bankkunden. Aus diesem Grunde wird der neue Skandal bei der Société Générale (SG) zumindest in Frankreich mit Besorgnis verfolgt und hat sich längst zum Politikum ausgewachsen. Anleger fragen sich, wie sicher ihr Geld eigentlich ist, wenn eine im Jahr 1864 gegründete Traditionsbank genauso Milliarden verzockt, wie es hochspekulative Hedge-Fonds tun.

Eigentlich sollte so etwas schon lange nicht mehr möglich sein, denn als Konsequenz aus der Pleite der Barings Bank im Jahr 1995 wurden die Kontrollsysteme erheblich ausgebaut. Bei der Unternehmensberatung Steria Mummert heißt es allerdings, es gebe noch immer erhebliche Defizite. Organisationsmängel würden unerlaubte Geschäfte erst ermöglichen. Im Fall SG konnte Aktienhändler Jérôme Kerviel die Kontrollsysteme auch deshalb austricksen, weil er diese bestens kannte: Der 31-Jährige hatte zuvor selbst im »Middle Office« gearbeitet, von wo aus die Geldflüsse der Angestellten überwacht werden. Mit der Behauptung, Kerviel sei ein »Computergenie« – diese Darstellung wird aus dessen Umfeld bestritten –, versucht der Bankvorstand ganz offensichtlich, von eigenen Versäumnissen abzulenken.

Anderswo sieht man die Vorkommnisse offenbar grundsätzlicher. Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann hat für sein Haus eine Überprüfung der Kontrollsysteme angekündigt. Und in mehreren europäischen Geldhäusern wird derzeit getestet, ob das Geschehen bei ihnen aufgeflogen wäre.

Allzu risikoreiches Spekulieren wird zudem durch das rabiate Wertesystem in der Welt der Investmentbanker befördert: Lediglich die ganz Erfolgreichen schaffen den Aufstieg, der für Millionengehälter sorgt. Wer aber hohe Verluste einfährt, muss mit dem Rauswurf rechnen. Dies könnte einen Teil der Ungereimtheiten in der bisherigen Darstellung des Skandals erklären. SG-Mitarbeiter berichten, es gebe schon dann Anrufe von Kontrolleuren, wenn »etwas im Nachkommabereich nicht stimmt«. Und Vorgesetzte schauen den Händlern im Großraum regelmäßig über die Schulter. Kerviel hat aber offenbar schon seit 2005 seine Limits überzogen. Er war ein kleines Licht mit einem Jahresgehalt unter 100 000 Euro und, anders als seinerzeit Nick Leeson, kein Börsenstar mit besonderen Freiheiten. Seine Aufgabe war es lediglich, Preisunterschiede bei Derivaten und Futures an verschiedenen Märkten auszunutzen. Möglicherweise schützte ihn vor kritischen Nachfragen, dass er lange Zeit mit seinen Geschäften Gewinn machte.

Der aktuelle Fall belegt zudem erneut, dass selbst Profis die Komplexität der immer neuen Finanzprodukte kaum durchschauen, wodurch sie die Risiken unterschätzen. So gesehen, dient Kerviel seinem bisherigen Arbeitgeber tatsächlich als »Sündenbock«. Die von ihm selbst verursachten Verluste betrugen 1,5 Milliarden Euro – mehr als das Doppelte kam hinzu, als die Bank nach der Entdeckung des Skandals Anfang der vergangenen Woche geradezu panisch begannen, die Futures wieder zu verkaufen. Dies geschah nämlich zu einem Zeitpunkt, als die Börsenkurse einbrachen. Hätte man bis zur Beruhigung der Märkte gewartet, wäre der Verlust womöglich erheblich geringer gewesen. Und durch die unangekündigten Verkäufe in sehr großem Stil hat man die allgemeine Verunsicherung noch verstärkt.

Mit dem Skandal hat SG zudem erhebliche Verluste aus dem Geschäft mit US-Hypothekenkrediten überspielt. Hier hat nicht nur ein einzelner Broker, sondern die Bankenwelt rund um den Globus eindrucksvoll bewiesen, dass auch sie nur Roulette spielt.


Verspekuliert - Die größten Fehlspekulationen einzelner Broker:

1995: Nick Leeson, Youngstar der Investmentbranche, spekulierte als Manager der altehrwürdigen Barings Bank an den Terminmärkten. Die immer gewagteren, geheim gehaltenen Wetten gingen nicht auf. Unter dem Verlust von 1,4 Milliarden Dollar brach Barings zusammen.

1996: Yasuo Hamanaka galt in Japan als Branchenstar. Der Kupferhändler der Sumitomo-Gruppe konnte über Jahre weit über seinen Limits handeln. Schaden: 2,6 Milliarden Dollar.

2007: Der kanadische Hedge-Fonds Amaranth wettete auf den Erdgas-Preis. Chefhändler Brian Hunter soll zeitweise 100 000 Erdgaskontrakte gehalten haben, was etwa einem Viertel des Jahresverbrauchs aller US-Haushalte entsprach, und konnte dadurch den Börsenpreis zeitweise beeinflussen. Doch eine große Wette auf fallende Erdgaspreise ging nicht auf. Amaranth verlor innerhalb von nur zwei Wochen 6 Milliarden Dollar und ging Pleite. ND