nd-aktuell.de / 09.02.2008 / Politik / Seite 5

Defizite im Umgang mit Nazi-Anschlägen

In Thüringen kam der Verdacht auf, das Innenministerium schöne Statistik rechter Straftaten

Markus Drescher
In dieser Woche lag der Verdacht in der Luft, dass ähnlich wie in Sachsen-Anhalt auch in Thüringen die Statistik rechtsextremer Straftaten geschönt wird. Auch wenn dies wohl nicht der Fall ist, offenbaren die Vorgänge Probleme im Umgang mit rechten Anschlägen.

Unter den Überschriften »Lauter Missverständnis« und »Nazi-Delikte nicht gemeldet« berichtete die Thüringer Allgemeine (TA) in dieser Woche von zwei rechtsextremen Anschlägen in Apolda und Sömmerda und warf die Frage auf, ob auch in Thüringen die Statistik rechter Straftaten – wie in Sachsen-Anhalt – geschönt werde.

Der Sachverhalt: Das Geschäft von Sigrun Heimbürge, Bestattungsunternehmerin in Apolda, Kreistagsabgeordnete der LINKEN und bekannt für ihr Engagement gegen Rechts, wurde (zum wiederholten Male) mit Aufklebern eindeutig rechten Inhalts wie »Nationaler Sozialismus oder Untergang« beklebt. In Sömmerda wurde eine Gedenktafel, die an den Todesmarsch der Buchenwald-Häftlinge erinnert, mit Hakenkreuzen und dem Wort »Gas« beschmiert.

Im ersten Fall wurde der Vorfall laut Innenministerium von der Polizei der zuständigen Staatsanwaltschaft zur rechtlichen Bewertung vorgelegt. Diese kam zu dem Schluss, dass kein Straftatbestand der Volksverhetzung vorliegt. Der Fall wurde daraufhin als Ordnungswidrigkeit des »unerlaubten Plakatierens« zur Anzeige gebracht. Im zweiten Fall wurde die Schändung laut Innenministerium umgehend dem Staatsschutz gemeldet, der in dem Fall »aufgrund der Indizienlage als ›Politisch motivierte Kriminalität – Rechts‹«, ermittelt. Als solche sei der Fall auch in die Statistik eingegangen.

Richtig ist aber, dass die zuständige Polizeidienststelle den Fall nicht in ihrem Polizeibericht publik gemacht hatte. Zudem sollen Beamte gegenüber der TA geäußert haben, dass es Anweisungen des Ministeriums gebe, über solche Fälle nur auf Anfrage Auskunft zu erteilen. Die Existenz solcher Anweisungen bestritt das Ministerium und teilte mit, dass die Öffentlichkeitsarbeit »grundsätzlich in der Entscheidung des jeweiligen Dienststellenleiters« liegt.

Soweit die Sachlage, das Fazit: Auf Grundlage dieser beiden Fälle von Statistikfälschung zu sprechen, scheint nicht gerechtfertigt. Aber:

Beide Fälle zeigen deutlich zwei der vielen Dinge auf, an denen es im Kampf gegen Rechtsextremismus – nicht nur in Thüringen – mangelt: Sensibilität dafür, wie schwerwiegend jede einzelne rechtsextreme Tat ist und dass diese nicht bagatellisiert oder aus Ignoranz oder sonstigen Gründen aus der Öffentlichkeit herausgehalten werden darf. Und die Möglichkeit, offensichtlich rechte Taten auch als solche zu verfolgen – auch wenn sich die Naziideolgie hinter Anspielungen versteckt.

Defizite auf staatlicher Seite bemerkt auch der Landesvorsitzende der Jüdischen Landesgemeinde, Wolfgang Nossen, immer wieder. So habe er den Eindruck, dass eindeutige Ereignisse allzu oft verharmlost werden und ein rechtsextremistischer Hintergrund – etwa bei Friedhofschändungen, bei denen keine Nazi-Symbole hinterlassen werden – vorschnell ausgeschlossen wird. Auch die Antifaschistische Gruppe Apolda berichtet von wiederholten Verharmlosungen und zeigt sich darüber empört, dass Teile der Polizei in Apolda sogar den Verdacht geäußert hätten, Heimbürge oder Personen aus ihrem Umfeld könnten die Täter sein. »Immer wieder mahnt die Politik ihre BürgerInnen zum couragierten Handeln, doch wie sollen sich BürgerInnen sicher fühlen, wenn Teile der Polizei auf dem rechten Auge blind sind?«

Für das Innenministerium zeigt der Fall in Sömmerda, »dass Polizisten verstärkt sensibilisiert werden müssen und man noch mehr tun muss«. Unterdessen gingen die Nazi-Anschläge in Apolda weiter: das Geschäft von Heimbürge wurde erneut beklebt und das Rathaus mit Hakenkreuzen beschmiert.