nd-aktuell.de / 21.02.2008 / Kultur / Seite 12

Odyssee – weiblich

Barbara Köhler: »Niemands Frau«

Alfons Huckebrink

Niemand wird kommen. Und kein tag. Ich werde nichtsein«, klagt Penelope im Schnee. Bedrängt von den Freiern und einem Sohn, der herrschen will. – Von Zeit zu Zeit versuchen Dichter, ins Heutige schier ausweglos verstrickt, den alten Stoffen, sehr alten Erzählungen, die zu Mythen geworden sind, etwas abzugewinnen. Heiner Müller wäre in diesem Zusammenhang zu nennen oder Christa Wolf. Barbara Köhler hat sich mit ihrer neuen Arbeit »Niemands Frau« bei ihnen eingereiht. Die Geschichte der Odyssee, dieser »reise der reisen«, hat im Laufe von 3000 Jahren zahlreiche Überarbeitungen, Anpassungen, Modernisierungen erfahren, nicht immer oder meistens nicht zum Vorteil ihrer Kenntlichkeit. Im Verlauf ihrer eigenen zwölfjährigen (!) Arbeit am Stoff entdeckte Barbara Köhler, wie »sich zwischen den verschiednen übersetzungen oder zwischen deutung und erzählung lücken auftaten, in denen zumal frauen sang- und klanglos verschwanden«.

Mit »Niemands Frau« wagt Barbara Köhler eine weibliche Darstellung des Stoffes, eine Übersetzung, die nicht linear und noch einmal neu erzählt, sondern in 21 Gesängen zur Gegendarstellung verdichtet wird: »flockenworte die alles zudecken: ein leichentuch und wärmt« – Penelopes »web« – eine reißfeste Textur, die ihre Fäden sowohl aus überlieferten Mythen wie aus den Nabelschauen unserer Tage generiert. Die Verführungskraft des Apfels etwa von der Paradiesfrucht über Schneewittchens fatalen Biss bis zum IT-Markenzeichen wird motivisch aufgenommen. Verwobene Zeiten. Ein grundsätzlicher Perspektivenwechsel wird vorgenommen, im programmatischen Titel ausgehend von der berühmtesten Ausflucht der Weltliteratur und der These, dass oútis (Niemand) und Odyss (Odysseus) im Altgriechischen sehr ähnlich klingen, dass also der geblendete Riese Polyphem durchaus den Homerschen Helden beim Namen genannt haben, in seinem Wutschmerz missverstanden und bald als verrückt erklärt worden sein kann. Wie so oft stünde das Missverständnis am Beginn einer Stigmatisierung.

So gesehen, wird der Werktitel mit einer Doppelbedeutung aufgeladen, die zugleich einen Anspruch formuliert. Auch an das weibliche Schreiben, das allzu lange etwas Verglichenes geblieben ist. »Ich ist papier vom anderen beschrieben der stoff aus dem die bibliotheken sind meine abgezognen häute«. Ein Schreiben fernab von Großmannssucht nimmt hier Text-Gestalt an; kein Gedanke ist daran verschwendet, Sprache zu beherrschen; keine festen Lesarten sind vorgegeben, dagegen: »Noch einmal und immer wieder ankommen«.

Eine Poetik des Webens und Wirkens. Textile Metaphern. Dazu der beschwörende raumgreifende Rhythmus des Weberschiffchens. »Das untergeht es ist es ist nicht das schiff das untergeht es ist es ist ist nicht das schiff das untergeht«. Das ist der Soundtrack der Warteschleife, so knarrt das Mantra der Zermürbung. Sätze, syntaktische Strukturen, Zusammenhänge werden im Köhlerschen Furor zerdehnt, zerspleißt, zerfasert. »gestürzter satzbau sinngestapel«.

Aber all das ist aufgeboten gegen die Fadenscheinigkeit im Wortsinn. Wird neu gewirkt. Barbara Köhler, die 1959 in Burgstädt bei Chemnitz geboren wurde und die in Duisburg wohnt, erlebte ich 2001 beim Lyrikertreffen in Münster erstmals im Vortrag. Wie eine Naturkraft fegten ihre stimmlichen Staccati durchs Kleine Haus der Städtischen Bühnen und schufen Raum für eine neue Plausibilität des Gesagten. Deshalb vor allem ist es zu begrüßen, dass der Verlag diesem Buch eine CD beigelegt hat, auf der Barbara Köhler den Gesamttext zum Singen und Klingen und buchstäblich zu Gehör bringt: »HIER SPRICHT DEIN NEBENWIDERSPRUCH GENOSSE und nicht Pawlows hund« – So schmerzlich schön haben wir das noch nicht gehört.

Barbara Köhler: Niemands Frau. Gesänge. Suhrkamp Verlag. 100 S., m. CD, geb., 16,90 EUR.