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Totgesagte leben länger

Nicolaus Harnoncourt und Martin Kusej graben in Zürich Robert Schumanns »Genoveva« aus

  • Roberto Becker
  • Lesedauer: 2 Min.

Manch eine Oper aus dem 19. Jahrhundert hat einfach keine reelle Chance mehr. Was keinen Stammplatz im Repertoire vorweisen kann, verschwindet einfach auf Dauer in der Versenkung. Und oft stimmt ja das Urteil der Rezeptionsgeschichte auch. Doch bei Robert Schumanns einziger, 1850 in Leipzig uraufgeführter Oper »Genoveva« bekam das Publikum jedenfalls über mehr als anderthalb Jahrhunderte keine ernsthafte Chance, die Anziehungskraft und den melodischen Reichtum der Musik zu genießen und sich wie beim »Fidelio« oder »Freischütz« daran zu gewöhnen, so manche krude Textpassage einfach zu überhören.

Und auch diverse Brüche im Handlungsablauf sind heute eh mehr eine Chance für szenische Befragungen. Umso besser, wenn sich dann ein so beharrlich auf seinen musikalischen Vorlieben bestehender Pultgroßmeister wie Nikolaus Harnoncourt und ein so vorurteilsfreier szenischer Analytiker wie Martin Kusej an einem so florierenden Opernhaus wie dem in Zürich der fast vergessenen Oper zuwenden.

Dabei nehmen Harnoncourt und Kusej »Genoveva« als Produkt ihrer Zeit ernst. Wie das Rumoren der 48er Revolution für den sensiblen Komponisten durchaus als eine Bedrohung gewirkt haben mag, so kombinieren Kusej und sein Bühnenbildner Rolf Glittenberg dies höchst überzeugend mit einem privaten Kammerspiel. Das handelnde Personal, vom Grafen Siegfried (Martin Gantner) und dessen treuer Gattin Genoveva (Juliane Banse) über den Beinahe-Verführer, jedoch Komplett-Verleumder Golo (Shwan Mathey) bis zur einflüsternd anstachelnden Hexe Margaretha (Cornelia Kallisch) bleibt hier meist in dem weißen Kastenzimmer präsent, auch wenn es eigentlich ganz woanders ist. Obsessionen werden so offenkundig. Wenn Graf Siegfried gegen die Sarazenen ins Feld zieht, dann legen sich die Chöre mächtig ins Zeug, aber die Soldaten tauchen nur als düstere Randgestalten auf. Und wenn der bei Genoveva abgeblitzte Golo eine fiese Intrige spinnt und ihr einen angeblichen Liebhaber unterschiebt, dann wird das Gesinde des Grafen zum furchterregenden Mob, der es gar nicht abwarten kann, die Herrin sterben zu sehen. Nach einer furiosen Zauberspiegelnummer Margarethas und ihrer quasi von »ganz oben« angeordneten Umkehr entgeht Genoveva ihren Henkern gerade noch.

Das aufgesetzte Happy end bricht Kusej dann vollends. Die Finsterlinge sind tot, die weißen Wände mit Blut und Dreck beschmiert, und dem hohen Paar steht der Schrecken ins Gesicht geschrieben. Die Heil Rufe sind da der reinste Hohn. Am Ende viel Jubel: für das Werk, ein überzeugendes Ensemble und für Harnoncourt, der bei Kusej mit einigen Buhs versetzt ist. Von wegen keine »richtige« Oper!

Nächste Vorstellungen heute, 23. 26. und 28. Februar 2008 www.opernhaus.ch

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