Aktenzeichen Links-Y ungelöst

Spekulationen über tolerierte Minderheitsregierung auf Zeit in Hessen / Irritationen bei der LINKEN

  • Hans-Gerd Öfinger, Wiesbaden
  • Lesedauer: 3 Min.
Dreieinhalb Wochen nach der hessischen Landtagswahl kommt Bewegung in die bislang starren Fronten. Seit Mittwoch verdichten sich Anzeichen auf einen Kurswechsel der SPD im Verhältnis zur LINKEN. Freilich eifrigst dementiert.

Am Mittwoch berichtete der »Wiesbadener Kurier« unter Verweis auf Berliner Parteikreise, dass mittlerweile auch SPD-Chef Kurt Beck mit der Idee leben könne, dass sich die hessische SPD-Spitzenkandidatin Andrea Ypsilanti im April mit den Stimmen der LINKEN zur neuen Ministerpräsidentin wählen lässt. Das Blatt schildert taktische Überlegungen im Willy-Brandt-Haus, wonach die Bildung einer Minderheitsregierung mit den Grünen für Ypsilanti vorteilhaft sein könne. Als Regierungschefin könne sie – mit Unterstützung der LINKEN – einige unpopuläre Maßnahmen der Vorgänger-Regierung Roland Koch (CDU) rückgängig machen, ihr soziales Profil schärfen – und gestärkt mit dem Amtsbonus in vorgezogenen Neuwahlen im Herbst auf Sieg und eine eigene Mehrheit für ihr »rot-grünes« Wunschbündnis setzen.

Das Dementi folgte auf dem Fuße. Für Hessens SPD-Fraktion betonte der Parlamentarische Geschäftsführer Reinhard Kahl, dass es bei Verhandlungen mit Grünen und FDP über ein Ampelbündnis bleibe. Und nachdem CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla von der SPD verlangt hatte, Farbe zu bekennen und zu sagen, ob sie weiterhin eine Zusammenarbeit mit der LINKEN im Westen ausschließt, tat ihm sein SPD-Amtsbruder den Gefallen. »Es wird keine Koalition mit der Linkspartei geben«, erklärte Hubertus Heil gegenüber »Spiegel Online«. Was den für den Westaufbau der LINKEN zuständigen Ulrich Maurer dennoch nicht hinderte, über seine frühere politische Heimat SPD zu frohlocken: »Und sie bewegt sich doch.« Und er scheint Recht zu behalten. Denn der »Kölner Stadt-Anzeiger« berichtet in seiner heutigen Ausgabe von einem Abend-essen, bei dem Beck Überlegungen zu einer Wahl Ypsilantis mit linker Hilfe mit den Worten »Dann machen wir's halt so« gebilligt habe.

Für Irritationen bei der hessischen LINKEN haben allerdings Meldungen gesorgt, wonach die Partei auf wesentliche politische Forderungen verzichten könnte, um an einer Landesregierung beteiligt zu werden. Bundestags-Fraktionschef Gregor Gysi hatte in einem Interview erklärt, die Landtagsfraktion sei bereit, Ypsilanti ohne Vorbedingungen zur Ministerpräsidentin zu wählen und »in Hessen ernsthaft mitzumachen«. Erst danach müsse »geredet« werden. Die LINKE könne sich »auch eine Tolerierung oder Regierungsbeteiligung vorstellen«, so Gysi. »Es gibt keine bedingungslosen Zusagen«, erklärte indes die linke Landtagsfraktion per Rundschreiben an Parteimitglieder. Die sechs Abgeordneten wollten mit Rückendeckung des Landesverbandes anhand politischer Sachfragen, wie Abschaffung der Studiengebühren, einen Politikwechsel einleiten und machten davon ihr Stimmverhalten abhängig.

Fraktionschef Willi van Ooyen betonte auf ND-Nachfrage, die Fraktion werde »selbstständig, pragmatisch und unaufgeregt« vorgehen. »Wir streben nicht in Regierungssessel«, hatte er auch in einem Interview bekräftigt: »Von Koalition kann derzeit keine Rede sein, selbst von Tolerierung wohl nicht.« Eine punktuelle Zusammenarbeit in wichtigen Sachfragen könne zwar den Einstieg in eine grundsätzliche Neuorientierung bilden, allerdings müssten SPD und Grüne tatsächlich dazu bereit sein und nicht nur »kleinere Reparaturarbeiten« anstreben.

Am Dienstag hatten namhafte Wissenschaftler Andrea Ypsilanti ermahnt, die Option einer Stimmenmehrheit von SPD, Grünen und LINKEN wahrzunehmen. Zu den Unterzeichnern gehört Karl-Georg Zinn, Sohn des legendären früheren SPD-Ministerpräsidenten Georg-August Zinn, der in den 50er und 60er Jahren in Wiesbaden regiert und das Bild vom »roten Hessen« geprägt hatte.

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