Daniel Kahn & The Painted Bird eröffneten das Freitagskonzert in der Wabe. Eisler trifft Klezmer, sehr dringlich vorgetragen, in einer Mischung aus jiddisch, deutsch und englisch. Wenn Daniel Kahn von »Six Million Germans« singt, die man doch als Vergeltung für den sechsmillionenfachen Mord an den Juden gleich nach 1945 umbringen könnte, gefriert das Lachen. »Schlechtes politisches Wetter« ist oft das Thema der vier Musiker aus drei Ländern. Einen Titanic-Song von 1912 haben sie zu einem New-Orleans-Lied von 2006 umgedichtet, nur ein paar Kleinigkeiten mussten verändert werden. Aus seinem Akkordeon aus Klingenthal, Marke Meinel & Herold, holt Kahn allen Schmerz dieser Welt, um seine Hörer zum Denken (und Handeln) anzuregen. »Dumai« (Denke) war die Zugabe. Gute, unbequeme Musik.
Bettina Schelker kommt aus der Schweiz, war dort gar Boxmeisterin. Kraft ist auch in ihren liedgewordenen Gedanken, Intensität in ihren kurzen Balladen und Geschichten, Schlagkraft in einer gesungenen Erzählung über einen türkischen Transsexuellen, der in seiner Heimat gequält wurde. Und dann kommt von ihr auch einfach nur mal ein Liebeslied. Das war die Schweiz von ihrer sehr angenehmen Seite.
Dann steht ein Mann vor dem Mikrofon, der singt wie ein tibetischer Mönch (und er sieht auch ein wenig so aus). Mehrerlei Töne kommen aus Kopf und Kehlkopf, das Publikum ist baff. Dass einer so etwas kann! Der kann auch noch viel mehr. HipHop, so dass er aus dem Stand einen Battle gewinnen müsste, rumspringen wie ein Derwisch und seine Zieharamonika (Hohner Concerto III) zum Schwingen bringen. Mit gutturalvibrierendem Klang funkt von Vielen »von »innen an außen«, ganz normal morst er »von außen nach innen«. Seine Band »Kauz« unterstützt ihn, ohne jedwede Elektronik diesmal (sie können auch anders). Aber nix da von Esoterik. Bei »Tanz deine Revolution« ist von Vielen ein einziger Energiestrahl. Es ist keine Musik der Mitte, vielleicht trifft sie gerade deswegen den Kern. »Es ist besser, in Gewässer/ auch mal baden zu gehn/ als mit erhobenem Finger/ am Ufer zu stehn«. Das Allgäuer Brachialphänomen Rainer von Vielen steht eher für den gestreckten Mittelfinger, und zwar in alle Richtungen.
Konstantin Wecker, der große Schamane und Leitwolf der Liedermacher, gab gegen Mitternacht am Samstag im Babylon einen (kurzen) Querschnitt durch seine bewegten 40 Jahre. Jo Warnicke unterstützte ihn furios an einem zweiten Tasteninstrument. Doch eigenlich war Wecker zum Festival gekommen, um seine jungen Freunde von der »Liederbestenliste« zu präsentieren, eine Veranstaltung in Zusammenarbeit mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung.
Wecker hilft, wo er kann – und will. Bei Prinz Chaos II sogar am Flügel. Dieses Ausnahmeliedernachwuchstalent aus Bayern singt weich von harten Themen: »Der Wahnsinn schleicht durch die Nacht/ Er hat einen Mantel aus Kälte an/ Weil man Frierende besser regieren kann«.
Zuvor hörten die Festivalfreunde Vannessa Maurischat, eine Braunschweigerin, die es nach Berlin geweht hat. Verschlagen ihre Moderationen, verstiegen ihre Songs. »Salon-Pop« nennt sie selber, was sie macht. »Alles was ich hab/ sind ein paar Lieder«. Diese Zeile kennt man irgendwie. Maurischat hat aber bessere Lieder als ihr eines über die Tagesschau. Wahrscheinlich kann man nach Nina Hagen (»das ist das übelste Programm, was es gibt«) keine guten Lieder mehr darüber machen.
Der Abend im Babylon eröffnete Michael Günther, ein Liedermacher aus Brandenburg. Er hatte seinen Stammkneiper mitgebracht – und ein paar feine Songs. Wenn einer aus Rahldorf nach New York fährt, da ist Reibung. Die hat er rübergebracht, ganz alleine mit seiner Gitarre.
Heinz Ratz stand dann auf der Bühne mit seiner Band Strom und Wasser. Ihm steckten noch die 1000 Kilometer in den Knochen, die er in den letzten Wochen protestierenderweise durch Deutschland marschierte (siehe Interview unten). Ratz stand auch mit Wecker auf der Bühne, als die Neonazis ihnen in Halberstadt das Singen verbieten wollten. Einzigartig sein »CDU-Tango« – über eine Nacht (im Bett) mit Angela Merkel.
Nein, politisch korrekt will dieser Mann nicht sein. Warum auch. Hat er doch für sein böses Lied »Müllficken und Arschkacken« sogar den Preis der deutschen Schallplattenkritik bekommen.
Quelle: https://www.nd-aktuell.de/artikel/124529.preis-fuer-muellficken-und-arschkacken.html