»Menschenwürdige Löhne garantieren«

Aktuelle Stunde im Bundestag zu Berliner Postmindestlohn-Urteil und seinen Folgen

Die Debatte um die Einführung von Mindestlöhnen hat durch ein Urteil des Berliner Verwaltungsgerichts zum Postmindestlohn erneut an Schärfe gewonnen. Am Mittwoch beschäftigte sich der Bundestag in einer Aktuellen Stunde damit.
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Die Aktuelle Stunde zur »Haltung der Bundesregierung zu den Konsequenzen aus dem Urteil des Berliner Verwaltungsgerichts zum Mindestlohn für Briefdienste« hatten FDP und die LINKE beantragt. Beim Mindestlohn auf den ersten Blick eine überraschende Kombination. Und so handelte es sich dabei auch nur um eine technische Zusammenlegung, damit man nicht an zwei unterschiedlichen Tagen zum selben Thema debattieren musste.

Inhaltlich stehen beide Parteien natürlich für konträre Forderungen. Die FDP lehnt jede Art von gesetzlichem Mindestlohn ab und sieht sich durch das Urteil des Berliner Verwaltungsgerichts vom letzten Freitag, das den Postmindestlohn als rechtswidrig eingestuft hatte, in ihrer Haltung bestätigt. Heinrich L. Kolb von der FDP forderte in der Aktuellen Stunde denn auch, die Verordnung zum Postmindestlohn auszusetzen, und sprach von »Mindestlohnspuk«, der lediglich das Monopol der Post auf andere Weise sichern solle.

LINKE: Branchenspezifische Lösung gescheitert

Auch die LINKE sieht sich durch die erneute Debatte bestätigt – allerdings unter entgegengesetzten Vorzeichen. Für sie ist das Konzept der branchenspezifischen Mindestlöhnen gescheitert. Jürgen Klute, Mitglied des Parteivorstands, fordert: »Ziel muss ein einheitlicher, flächendeckender und gesetzlicher Mindestlohn sein.«

Der gewerkschaftspolitische Sprecher der Linksfraktion, Werner Dreibus, empörte sich in der Aktuellen Stunde darüber, dass sich die Berliner Richter bei ihrem Urteil auf den konkurrierenden Tarifvertrag zwischen dem »Arbeitgeberverband neue Brief und Zustelldienste« und der »Gewerkschaft Neue Brief- und Zustelldienste« beriefen. Diese bezeichnete er als »Scheingewerkschaft« des neuen Arbeitgeberverbandes und den Tarifvertrag als »null und nichtig«.

Tatsächlich sind Tarifvereinbarungen zwischen Arbeitgeberverbänden und kleinen durchsetzungsschwachen Gewerkschaften problematisch, da sie in der Regel weit unter denen mit großen Gewerkschaften liegen und keine existenzsichernden Löhne festschreiben. Die Hans-Böckler-Stiftung verwies in diesem Zusammenhang am Mittwoch auf mehrere aktuelle Gutachten, die bestätigten, dass ein allgemeinverbindliches Mindestentgelt erforderlich sein könne, um eben solche Löhne zu garantieren. Der Staat müsse in diesen Fällen einen Tarifvertrag als Basis für einen Mindestlohn festsetzen und sich dabei an demjenigen orientieren, der von der Gewerkschaft mit dem höchsten Organisierungsgrad ausgehandelt wurde.

Als »skandalös« bezeichnete Dreibus im Plenum zudem die Äußerung von Bundeswirtschaftsminister Michael Glos (CSU), das Urteil sei ein »Sieg für den Wettbewerb«, und kritisierte den Umstand, dass die Bundesregierung ihm nicht widersprochen habe. Deshalb sei es zweifelhaft, »ob es der Bundesregierung überhaupt ernst ist mit dem Ziel, den Beschäftigten menschenwürdige Löhne zu garantieren«.

Meinungen im Unionslager sind gespalten

Nach dem Berliner Urteil hatte das Bundesarbeitsministerium umgehend Berufung eingelegt und erklärt, dass der Mindestlohn weitergelte. Die Reaktionen aus Reihen der CDU und CSU darauf fielen unterschiedlich aus und zeigen deutlich, dass der Konflikt um die Mindestlöhne im Unionslager nur sehr oberflächlich befriedet war. So forderte der wirtschaftspolitische Sprecher der Fraktion, Laurenz Meyer, die Verordnung, die dem Postmindestlohn zugrundeliegt, bis zur endgültigen gerichtlichen Klärung außer Kraft zu setzen. Bundesarbeitsminister Olaf Scholz (SPD) forderte er zudem auf, seine Gesetzesvorschläge zum Mindestlohn grundlegend zu überarbeiten. Glos kündigte zudem an, den Mindestlohn-Plänen von Scholz so lange nicht zuzustimmen, bis die Vorstellungen seines Hauses berücksichtigt worden seien. CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla hingegen hatte zuvor darauf verwiesen, dass das Urteil im Widerspruch zur Rechtssprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des Bundesarbeitsgerichts stehe und das Vorgehen von Scholz gerechtfertigt sei.

Diese Auffassung bestätigten am Mittwoch im Bundestag auch der Parlamentarische Staatssekretär Franz Thönnes (SPD) und Ralf Brauksiepe für die CDU/CSU-Fraktion. Dieser kündigte aber gleichzeitig an, dass das Urteil in den laufenden Gesetzgebungsprozess einfließen solle. Bei der arbeitsmarktpolitischen Sprecherin der Grünen, Brigitte Pothmer, stieß dies auf Unverständnis: »Warum sollte ein nicht rechtskräftiges und fragwürdiges Urteil in ein Gesetzgebungsverfahren einfließen?« Zudem kündigte sie an, die Gesetz-entwürfe des Arbeitsministers selbst einbringen und zur Debatte stellen zu wollen, falls es die Große Koalition nicht selbst schnell tue.

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