»Ich habe es satt, es satt zu haben«

Buchpremiere in Leipzig mit Gerhard und Ingrid Zwerenz

Der dritte Band in der neuen Buchreihe des ND, gemeinsam mit dem Verlag Das Neue Berlin besorgt, erlebte auf der Leipziger Buchmesse Premiere: »Gerhard Zwerenz. Weder Kain noch Abel«. Sinnigerweise fand sie im Geburtshaus des Autors der Schrift »Militarismus und Antimilitarismus«, Karl Liebknecht, statt – heute Domizil der Leipziger LINKEN. Hier lauschten Leser, dicht an dicht sitzend, dem Gespräch, das Buchautor und ND-Chefredakteur Jürgen Reents mit Gerhard und Ingrid Zwerenz führte.
Gerhard Zwerenz
Gerhard Zwerenz

Es ist schon erstaunlich, wie wandlungsfähig dieser Gerhard Zwerenz ist. Eine Gabe, die aus der Zeit herrührt, da er Mime in Filmen seines Freundes Rainer Werner Fassbinder war? Zunächst beantwortete der gelernte Kupferschmied und erfolgreiche Schriftsteller die bohrenden, unruhigen Fragen von Jürgen Reents mit stoischer Gelassenheit, wurde dann jedoch (für sein Alter) erstaunlich leidenschaftlich, temperamentvoll, ja jugendhaft ungestüm und lehnte sich hernach wieder bequem in seinen Stuhl zurück, um ruhig und überlegt salomonische Weisheit kundzutun. Reents wollte wissen, wie der ehemalige Wehrmachtsdeserteur zu den Vorschlägen steht, für die Bundeswehr Tapferkeitsmedaillen, das Eiserne Kreuz, wieder einzuführen. Der Autor des Bestsellers »Soldaten sind Mörder« (1988) äußerte, er sei es leid, die immer gleichen Debatten zu führen. »Ich bin stinksauer, habe es satt.« Und dann: »Ich habe es satt, es satt zu haben.«

Seit Jahrzehnten kämpft Zwerenz mit Wort und Tat gegen militaristischen Ungeist und Säbelrasseln, ob während der Ostermärsche an der Seite von Martin Niemöller oder im Bundestag als Abgeordneter für die PDS, wo er erfolgreich für die Umtaufung der Kasernen, die nach Mitgliedern der »Legion Condor« benannt waren, stritt. »Die Erfahrung ist offenbar nicht von Dauer«, bedauerte Gerhard Zwerenz. »Dabei ist sie lehrbar. Nur gibt es in Deutschland kein Lehrfach dafür. Denn alle Macht ist auf Krieg aus.« Und da stören Erfahrungen.

Kriege werden heute anders geführt als zu seiner Zeit. Ihr menschenverachtendes Wesen ist dasselbe. Er habe als Infanterist ebenso wie sein Freund, der einstige Jagdflieger Heinrich Graf von Einsiedel, Krieg noch als Handwerk erlebt und erlitten. Der Feind hatte damals noch eine Chance. Heutige Kriege sind hoch technisiert, computerisiert, virtualisiert. Bomberpiloten hören das Röcheln der Todgeweihten nicht mehr, sehen nicht die zerfetzten Leiber, nicht das viele Blut. Eine Optimierung des Mordens ist erreicht, die beängstigend ist und eine neue Art der Barbarisierung eröffnet hat.

Warum gibt es heute nicht diese machtvollen Antikriegskundgebungen und Aufrufe zur Desertion wie zu Zeiten des Vietnam-Krieges, fragte Reents. Gerhard Zwerenz wunderte sich darüber gleichfalls. Er erinnert sich, wie damals Literaturwissenschaftler Walter Jens desertierende US-Soldaten versteckte und ihnen zur Flucht verhalf. Und er erzählte, wie Heinrich Böll auf ihn eifersüchtig wurde, als er 1966 sein Buch »Casanova oder der Kleine Herr in Krieg und Frieden« veröffentlichte und der Zorn des Bischofs sich von jenem ab-, ihm zuwandte.

Dass Deutschland heute wieder in Kriegseinsätzen steht, will er nicht den 68ern in die Schuhe schieben. Das habe auch etwas mit der Janusköpfigkeit von Politik zu tun. Freundlich gibt sich derjenige, der gewählt werden will, fürchterlich gebärdet er sich, wenn er gewählt ist. Mitunter kann aber einer, der nicht mehr im Amte ist, zu erstaunlichen Einsichten kommen, wie etwa Alt-Bundeskanzler Helmut Schmidt, Durchpeitscher des NATO-Doppelbeschlusses in den 80er Jahren, der heute ein Gegner militärischer Interventionen ist.

Es gab an diesem Abend auch Blattkritik vom ND-Autor und -Abonnenten Gerhard Zwerenz. Bissiger, sarkastischer und humoristischer wünschte er sich diese Zeitung. Ingrid Zwerenz begründete: »Lachen ist gesund, auch wenn es manchmal schwerfällt. Lachen ist die beste Therapie.« Gegen Weltschmerz und Lähmung, zur Ermunterung und Mobilisierung der Geister und der Kräfte.

Schließlich wurde der im Taunus wohnende gebürtige Sachse intim mit den Seinen, führte Zwiesprache mit ihnen. »Wir dürfen uns nicht mehr kleinmachen lassen«, rief er aus und erntete frenetischen Beifall. In bewusster Analogie zum Preußenschlag von 1932, sagte er: »Seit dem Sachsenschlag von 1923, als die sozialdemokratische Reichsregierung die Arbeiterregierung aus Sozialdemokraten und Kommunisten in Sachsen gewaltsam auflöste, ist Sachsen fremd besetzt gewesen: Wehrmacht, Sowjetarmee, Bundeswehr.« Das müsse und könne sich ändern. »Was die Chinesen können«, mit den USA gleichzuziehen, sie herauszufordern, »das können wir Sachsen auch.« Erneut Applaus.

Zwischen den sich hervorragend ergänzenden Eheleuten Gerhard und Ingrid Zwerenz gab es an diesem Abend einmal kurzzeitig Irritationen – nämlich als die Frage stand, wer eine Leseprobe gibt. Schließlich beschied die (ebenfalls schriftstellerisch tätige) Frau dem Manne: »Lies du. Bade dich!« Worauf er die großzügige Geste überrascht kommentierte: »Das höre ich von ihr das erste Mal, seit über sechzig Jahren.«

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