Ein Akt auf dem Drahtseil

Kritik am geplanten EU-Rahmenbeschluss zur Terrorbekämpfung

  • Holger Elias, Brüssel
  • Lesedauer: 3 Min.
Die Zahl terroristischer Anschläge hat sich laut europäischer Polizeibehörde Europol im vergangenen Jahr deutlich erhöht. Demnach gab es in den EU-Staaten 583 Anschläge. Insgesamt 1044 Personen seien verhaftet worden, sagte Europol-Direktor Max-Peter Ratzel, der auf einem Forum zum Thema Terrorismusbekämpfung im EU-Parlament am Montag den Jahresbericht seiner Behörde vorstellte.
Überwachung nur zur Terrorabwehr?
Überwachung nur zur Terrorabwehr?

Den von Ratzel vorgelegten Daten zufolge wäre die Zahl der Anschläge im Vergleich zum Jahre 2006 um 24 Prozent und die der Festnahmen um immerhin 48 Prozent gestiegen. Der Großteil der Anschläge sei auf Aktivitäten baskischer und korsischer Separatisten in Spanien und Frankreich zurückzuführen, dagegen wurde mit nur vier Anschlägen ein Rückgang der Taten mit islamistischem Hintergrund registriert. Ebenfalls rückgängig waren 2007 die Aktionen von Linksextremisten. 21 registrierte Vorfälle richteten ausschließlich materielle Schäden an. Von deutschen Behörden wurden laut Europol im vergangenen Jahr 20 Anschläge vereitelt, 15 Verdächtige seien festgenommen worden. Frankreich führt die Statistik mit 409 Festnahmen an, gefolgt von Spanien (261) und Großbritannien (203).

Ratzel erklärte, die Attentate islamistischer Extremisten stellten vor allem ein großes Problem für die EU dar, weil die Aktionen darauf abzielten, möglichst große menschliche Verluste herbeizuführen. Darauf deuteten auch die im Internet verfügbaren Anleitungen für den Bombenbau hin. Im September 2007 waren zwei Deutsche und ein Türke unter dem Verdacht festgenommen worden, mehrere Anschläge, unter anderem auf eine US-Basis, geplant zu haben. Die Sprengkraft der dazu hergestellten Bomben war enorm. Sie hätten mehr Zerstörungskraft gehabt als jene Sprengsätze, mit denen in Madrid 191 Menschen getötet wurden. Ratzel erklärte, dass sich die Kommandostrukturen der islamistischen Terroristen in EU-Staaten als auch in Pakistan befänden.

Der Präsident der Unterkommission des Europarats zum Kampf gegen den Terrorismus, Dick Marty, übte während der Ausschussberatung in Brüssel heftige Kritik an den von der EU-Kommission geplanten neuen Antiterror-Bestimmungen. Diese berücksichtigten nur sehr ungenügend die fundamentalen Menschenrechte und stellten sogar die kürzlich angenommene Konvention des Europarates in Frage. Er forderte die EU-Mitgliedstaaten im Falle der Durchsetzung des Maßnahmekatalogs auf, sich an die Urteile des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte zu halten.

Die als Berichterstatterin des Europäischen Parlaments zu den Beschlussvorschlägen eingesetzte französische Sozialdemokratin Rosalyne Lefrancois räumte ein, dass der von der Kommission eingebrachte Entwurf des Rahmenbeschlusses, der einerseits die Bekämpfung des Terrorismus zum Ziel habe, andererseits die Einhaltung der Menschenrechte garantieren soll, einen »Akt auf dem Drahtseil« darstelle. Es gehe darum, Freiheit und Sicherheit gegenseitig aufzuwiegen, sagte sie. Durch die neue Bestimmung würden künftig nicht nur Vergehen geahndet, sondern es werde bereits gegen Aufrufe zu terroristischen Taten vorgegangen. In dem Rahmenbeschluss aus dem Jahr 2003 war laut der damals ausgehandelten Terrorismus-Definition ausschließlich die Verfolgung von Straftaten benannt, die mit einem besonderen Vorsatz ausgeführt werden.

Das Stichwort
Der Rahmenbeschluss
Mit der vorgeschlagenen Änderung des EU-Rahmenbeschlusses des Rates vom Juni 2002 zur Terrorismusbekämpfung sollen die einzelstaatlichen Vorschriften zur Bekämpfung des Terrorismus weiter angeglichen werden. Als terroristische Straftaten sollen künftig ausdrücklich auch die öffentliche Aufforderung zur Begehung eines Terroraktes, die Anwerbung für entsprechende Taten, die Ausbildung für terroristische Zwecke, schwerer Diebstahl mit dem Ziel, Materialien für einen Terrorakt zu erlangen und die Ausstellung gefälschter Verwaltungsdokumente gelten. (ND)
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