Hamburg: »Bla- und Blubb-Koalition«

Das erste schwarz-grüne Bündnis auf Landesebene ist fast perfekt – aber zwei Probleme müssen noch vom Tisch

  • Volker Stahl, Hamburg
  • Lesedauer: 3 Min.
Aus dem Mittelstrecken-Lauf ist ein Marathon geworden. Seit einem Monat verhandeln CDU und Grün-Alternative Liste in Hamburg über die erste schwarz-grüne Koalition auf Landesebene. Jetzt ist ein Ende in Sicht: Nächsten Donnerstag soll der Koalitionsvertrag präsentiert, am 7. Mai Ole von Beust zum dritten Mal zum Bürgermeister gewählt werden. Vorher müssen sich die Parteien aber über die Streitthemen Elbvertiefung und das Kohlekraftwerk Moorburg einigen.

Zuletzt platzte sogar dem Reporter des Hamburger Abendblatts der Kragen. In einer Glosse machte er seinem Ärger über die »Bla- und Blubb-Koalition« Luft. Er spielte mit der aus der Comic-Sprache entlehnten Formulierung auf die unsägliche Selbstdarstellung der künftigen Regierungspartner an. Und die funktioniert so: Am Ende mehrstündiger Verhandlungsrunden treten die Parteispitzen vor die in Kompaniestärke erschienenen Pressevertreter und geben – von kleinen Ausnahmen abgesehen – Belanglosigkeiten von sich. Der Satz »Wir sind gut vorangekommen« gehört zum Standardrepertoire. Die kürzeste Pressekonferenz dauerte 90 Sekunden. Nachfragen: unerwünscht.

Dass die Medien anderntags doch etwas zu berichten hatten, liegt am gut funktionierenden Buschfunk. Hinter vorgehaltener Hand stecken profilierungssüchtige Unterhändler ihren Lieblingsjournalisten mal dieses, mal jenes Detail. Die drei Springer-Zeitungen BILD, Abendblatt und WELT sind immer gut informiert. Die Lokalausgabe der taz hat naturgemäß einen guten Draht zu den Grünen. Nur die ehemalige SPD-Zeitung Hamburger Morgenpost sitzt meist am Katzentisch – ist auch kein Wunder: Das Blatt torpediert das Projekt Schwarz-Grün als einziges konsequent und macht CDU wie GAL gleichermaßen madig.

Trägt man die dem Zischlaut »Psst« folgenden Informationen zusammen, zeigt sich, dass die Koalitionäre in spe – bis auf zwei Ausnahmen – wirklich schon »gut vorangekommen« sind. Einigung besteht bei den Themenfeldern Umwelt, Migration, Schule/Uni, Wohnungsbau, Stadtentwicklung, Verkehr und Justiz, wo die Grünen punkten konnten. Konkret heißt das: Reduzierung des CO2-Ausstoßes um 40 Prozent bis 2020, Beibehaltung des Abschiebestopps für afghanische Flüchtlinge, Verringerung der Studiengebühren, die künftig erst nach dem Examen gezahlt werden müssen, Bau von 6000 neuen Wohnungen, Comeback der Straßenbahn, Aus für den geschlossenen Jugendknast Feuerbergstraße und Stärkung des Resozialisierungsgedankens. Beschlossen ist auch die von vier auf sechs Jahre erweiterte Grundschule, die künftig »Primärschule« heißen wird. Zuletzt mussten die Grünen nach der Hafenquerspange mit dem 300 Millionen Euro teuren Renommierprojekt HafenCity-U-Bahn weitere verkehrspolitische Kröten schlucken. Die vier Kilometer lange Strecke vom Jungfernstieg in den boomenden Stadtteil kommt. Auch beim bisher von ihnen strikt abgelehnten Anschluss Hamburg an die A 26 sind die Grünen eingeknickt.

Zwei schwere Brocken müssen Anfang nächster Woche allerdings noch aus dem Weg geräumt werden: Die Knackpunkte Elbvertiefung und Moorburg. In Sachen Elbvertiefung bahnt sich ein Kompromiss an: Die Fahrrinne soll statt um einen nur um einen halben Meter vertieft werden, damit künftig mehr »Dickschiffe« die Elbe problemlos passieren können. Heikel dürfte dagegen der finale Poker um das von der GAL vehement abgelehnte Kohlekraftwerk Moorburg werden. Nachdem ihnen zuletzt sogar die im Wahlkampf noch zur Seite stehende SPD als Unterstützer abhanden gekommen ist, stehen sie allein auf weiter Flur gegen CDU, Handelskammer, Strom-Konzerne und Vattenfall-Beschäftigte, die gestern auf dem Spielbudenplatz in St. Pauli für Moorburg demonstrierten.

Wenn Schwarz-Grün das Kohlekraftwerk stoppt, droht der Stadt eine Schadensersatzklage in Milliarden-Höhe. »Wir haben einen Rechtsanspruch gegen die Hansestadt und sehen hier eine starke Rechtsposition«, sagte Vattenfall-Chef Hans-Jürgen Cramer. Der Stromkonzern lehnt den Bau des alternativ vorgeschlagenen Gaskraftwerks als unwirtschaftlich ab. Rückenwind kam von Handelskammer-Präsident Karl-Joachim Dreyer: »Der Verzicht auf Moorburg wäre eine Katastrophe für Hamburgs energieintensive Industrie-Unternehmen.« Nur die Umweltverbände stehen den Grünen zur Seite. Der BUND bezeichnete die Vattenfall-Drohung als »dreisten Erpressungsversuch«. Der Konzern baue gemäß Verträgen mit der Stadt auf eigenes Risiko, erklärte der Hamburger BUND-Chef Manfred Braasch. Fakt ist: Die Arbeiten haben bereits begonnen. Laut BILD hat das Unternehmen bereits 200 Mio. Euro investiert.

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