Intoleranz schwächt Demokratie

Der Bundestag erinnerte an das Ermächtigungsgesetz der Nazis vor 75 Jahren

Gestern durfte sie doch abgespielt werden im Deutschen Bundestag – die Aufzeichnung der Rede des einstigen SPD-Vorsitzenden Otto Wels, mit der er in der Reichstagssitzung am 23. März 1933 in der Berliner Krolloper das Ermächtigungsgesetz der Hitlerregierung ablehnte.

Eigentlich hatte der Festakt »Die Zerstörung der Demokratie in Deutschland vor 75 Jahren« genau zum Jahrestag am 23. März stattfinden sollen – so wollte es SPD-Chef Kurt Beck. Sein Ansinnen scheiterte am Unwillen von CDU und CSU. Vor allem die Ankündigung, Wels' mutiges Nein zum Ermächtigungsgesetz zu Gehör zu bringen, war auf Missmut gestoßen. Zu klar gemahnt dieses den Koalitionspartner wie auch die FDP an das Versagen ihrer Vorgängerparteien, die unisono der Entmachtung des Parlaments, dem finalen Todesstoß für die Weimarer Demokratie zugestimmt hatten.

Der Zwist der Parteien schließt also auch heute noch dieses Kapitel der Geschichte ein. Von einem Konsens, den Bundestagspräsident Norbert Lammert in seiner ansonsten anspruchsvollen, historisch gerechten und fairen Rede zu erkennen meinte, ist wenig zu spüren. Oder sollte doch endlich eine Tür aufgestoßen sein? Immerhin nannte der CDU-Politiker den Widerstand der damaligen 94 SPD-Abgeordneten im Reichstag ein »bleibendes historisches Verdienst«.

Lammert erinnerte auch daran, dass die Mehrheit der bereits bis zu jenem schicksalhaften parlamentsgeschichtlichen Datum von den Nazis verhafteten 30 000 politischen Gegner Kommunisten waren. Vergessen wurde ebenso wenig, dass diese am 23. März 1933 kein mutiges Veto wie die SPD abgeben konnten, da Hitler die 81 KPD-Mandate bereits annulliert hatte. Lammert sprach, wie nachfolgend der ehemalige SPD-Vorsitzende Hans-Jochen Vogel als zweiter Redner, klar die Schuld der Eliten in Staatsapparat, Wirtschaft, an den Universitäten und auf ostelbischem Junkerland an.

Solch deutliche Worte waren im Bundestag, der sich lange schwer tat mit der Rehabilitierung der Wehrmachts-Deserteure und sich noch immer schwer tut mit der offiziellen Anerkennung deutscher Antifaschisten im Spanienkrieg 1936-39, bisher vom bürgerlichen Lager nicht zu hören. Insbesondere die Würdigung der kommunistischen Opfer ließ aufhorchen in einer Zeit, in der äußerst vehement, von Westerwelle bis Pofalla, vor einem »Bündnis mit Kommunisten« gewarnt wird. Gegenüber ND sagte Dagmar Enkelmann, Parlamentarische Geschäftsführerin der Fraktion der LINKEN, die auf diese Weise geächtet werden soll: »Ich freue mich, dass der Bundestagspräsident nicht der Versuchung erlegen ist, einen Teil des Widerstands auszuklammern. Die Geschichte des Faschismus zeigt, dass Intoleranz und Ausgrenzung die Demokratie schwächt. Das gilt auch heute.«

Freilich, der Sozialdemokrat Vogel ließ es sich nicht nehmen, den unseligen, von Moskau zu Weimarer Zeiten aufgezwungenen Kampf deutscher Kommunisten gegen die Sozialdemokratie »als Hauptfeind« anzusprechen. Das ist historisch richtig, jedoch wäre es ebenso richtig gewesen, hätte er auch ein Wort zum Anteil der Sozialdemokratie an der verhängnisvollen Spaltung der Arbeiterbewegung gefunden. Vogels Bemerkung, dass die Kommunisten für ihren Fehler »einen hohen Blutzoll entrichteten«, klang so eher selbstgerecht als nachdenklich mitleidend.

Die Rede von Wels, die Vogel als eine in alle Geschichtsbücher gehörende bezeichnete, ist übrigens nur auszugsweise wiedergegeben worden. Zu hören waren die großartigen Worte: »Freiheit und Leben kann man uns nehmen, die Ehre nicht.« Nicht vorgespielt wurde die umstrittene, zustimmende Passage in Wels' Text zu Hitlers Rede kurz zuvor am »Tag von Potsdam«.

»Wehret den Anfängen!«, sagten Lammert und Vogel. Wenn das nicht nur ein schöner Slogan sein soll, wäre mehr Tatkraft gegen den Rechtsextremismus gefordert – und dürften Grundrechte nicht immer wieder beschnitten werden.

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