Widerstand nicht nur gegen Gen-Raps

Die Rhön zählt mittlerweile zu den größten gentechnikfreien Regionen in Deutschland. Landwirte und Umweltschützer fürchten aber nicht nur den Eingriff in die Natur, sondern wehren sich auch gegen die zunehmende Abhängigkeit von wenigen Saatgutkonzernen.

  • Carsten Kallenbach
  • Lesedauer: 6 Min.

Michael Geier klingt enttäuscht: »Die Rahmenbedingungen, sich erneut für eine gentechnikfreie Anbauzone einzusetzen, haben sich nicht geändert. Im Gegenteil: Auf die Landwirte hat der Druck seitens der Saatgutkonzerne eher noch zugenommen, und keine der Befürchtungen, die es gibt, wenn man gentechnisch veränderte Organismen anbaut, konnte bisher entkräftet werden«, klagt der Leiter der bayerischen Verwaltungsstelle des Biosphärenreservates Rhön in Oberelsbach. Ende letzten Jahres erst haben die Landwirte in der Region ihr freiwilliges Moratorium aus dem Jahr 2004 verlängert. Auch in den nächsten drei Jahren wollen sie auf den Anbau gentechnisch veränderter Organismen verzichten. Mit einer Fläche von mehr als 60 000 Hektar gehört die Rhön inzwischen zu den größten gentechnikfreien Regionen der Bundesrepublik und vereint hunderte Landwirte aus den drei Bundesländern Thüringen, Hessen und Bayern.

Michael Geier wendet sich vor allem gegen die Verharmlosung von genmanipulierten Pflanzen. »Als die ersten Funde der amerikanischen Ambrosia auftauchten, einer Pflanze, die dem Beifuß zum Verwechseln ähnlich sieht, hieß es, dass von ihr keine Gefahr ausgeht. Inzwischen weiß man, dass ihr Pollen einer der stärksten natürlichen Allergieauslöser überhaupt ist«, warnt Geier. Für ihn ist die Verlängerung des Moratoriums durch die Landwirte denn auch mehr als eine pure Abwehrhaltung. »Aus meiner Sicht ist der Verzicht auf Gentechnik ein selbstverständlicher Baustein unserer Regionalentwicklung.«

Ein Drittel aller bayerischen Betriebe hatte vor drei Jahren das Moratorium unterzeichnet. Auch im benachbarten hessischen Teil der Rhön ist das Interesse der Landwirte groß. So erklärten sich im Landkreis Fulda bis Ende November 2007 insgesamt 557 Betriebe zur gentechnikfreien Zone. »Das entspricht einem Anteil von rund 40 Prozent. Unser Ziel liegt bei mehr als 50 Prozent, und ich bin optimistisch, dass wir das erreichen«, erklärt Eugen Sauer vom Fachdienst Landwirtschaft beim Landkreis Fulda. Aus seiner Sicht ist der Hauptgrund für die Landwirte, sich vorerst gegen gentechnisch verändertes Saatgut zu wenden, die Frage der Haftung. Erst danach kommen eventuelle gesundheitliche Risiken und die Angst um die Artenvielfalt.

Gefahr größer als der Nutzen
Im Landkreis Fulda haben sich jetzt Landrat Bernd Woide, der Vorsitzende des Kreisbauernverbandes Lothar Röder und Kreislandwirt Matthias Bug an die Spitze der Bewegung für eine gentechnikfreie Anbauregion Rhön gestellt. Das ist für andere Landkreise außerhalb der Rhön nicht gerade selbstverständlich. In Thüringen hatten sich vor drei Jahren lediglich zehn Betriebe der gentechnikfreien Anbauregion Rhön angeschlossen. Doch aufgrund der hier vorherrschenden großen Agrarstrukturen kam mit ihnen problemlos ein stolzes Drittel der insgesamt 60 000 Hektar zusammen.

»Es ist eine lohnenswerte Sache, sich gegen die grüne Gentechnik einzusetzen. Deshalb muss diese Bewegung weitergehen«, hebt der Geschäftsführer der Landschaftspflege-Agrarhöfe Kaltensundheim, Aribert Bach, hervor. Sein ökologisch wirtschaftender Betrieb darf ohnehin weder gentechnisch verändertes Saatgut anbauen noch derartiges Futter verwenden. »Aus meiner Sicht und auch aus der vieler konventionell wirtschaftenden Landwirte stellt uns die Natur so viel Genmaterial zur Verfügung, dass wir das manipulierte gar nicht brauchen«, ist sich Bach sicher. Außerdem würden sich Landwirte, die gentechnisch verändertes Saatgut anbauen, in eine vollständige Abhängigkeit weniger Saatgutkonzerne und der mit ihnen arbeitenden Pflanzenschutzmittelhersteller begeben. »Die Gefahr, die vom Anbau gentechnisch veränderten Saatguts ausgehen kann, ist momentan einfach viel höher als der Nutzen«, gibt Bach weiter zu bedenken.

In der Bundesrepublik gibt es laut Statistik des Bund Umwelt- und Naturschutz (BUND) momentan 173 ausgewiesene gentechnikfreie Regionen und Initiativen. Das macht rund eine Million Hektar landwirtschaftliche Nutzfläche aus, auf denen der Anbau gentechnisch veränderter Organismen verboten ist. In Wirklichkeit liegt diese Zahl noch höher. In Thüringen werden alleine 30 000 Hektar gentechnikfrei bewirtschaftet. »Allerdings gelten wir nicht als gentechnikfreie Region, weil diese Flächen nicht zusammenhängen«, nennt Frank Augsten vom »Aktionsbündnis für gentechnikfreie Landwirtschaft in Thüringen« ein Definitionsproblem. Daher erscheint Thüringen auch als weißer Fleck auf der Übersichtskarte der gentechnikfreien Regionen in Deutschland.

Eine Art deutschen Vorbildcharakter hat die gentechnikfreie Region »Zivilcourage Vogelsberg«, die sich inzwischen über zwölf Dörfer und Städtchen des hessischen Vogelsbergkreises erstreckt und 52 Initiativen mit 182 Landwirten vereint. Momentan gelten hier rund 11 000 Hektar als gentechnikfrei. Der Vorbildcharakter der »Zivilcourage« liegt in seinem konsequenten Nein gegen die grüne Gentechnik, das eben auch den Verzicht auf gentechnisch manipulierte Futtermittel mit einschließt. Im März 2007 wurde hier eine Einkaufsgemeinschaft für gentechnikfreie Futtermittel gegründet. Mit knapp 4000 Tonnen Futter ist sie binnen eines dreiviertel Jahres zu einer der größten Einkaufsgemeinschaften dieser Art in der ganzen Bundesrepublik geworden.

Steigender Einsatz der Gentechnik
»Mittlerweile fragen bei uns auch Landwirte aus der Rhön und aus der Region Kassel gentechnikfreies Futter nach«, sagt Landwirt Peter Hamel aus Storndorf. Er war der erste, der vor zwei Jahren eine Selbstverpflichtungserklärung unterzeichnete, komplett auf die grüne Gentechnik auf seinen Feldern und im Stall zu verzichten. Der Auslöser dafür war ein gentechnischer Patentanspruch für Schweine seitens des amerikanischen Monsanto-Konzerns, der weltweit rund 90 Prozent aller Patente für gentechnisch veränderte Saaten inne hat. Peter Hamel ist Schweinezüchter und hält das seltene Schwäbisch-Hessische Schwein. »Diese Rasse wäre von diesem Patentanspruch betroffen. Deshalb habe ich mich intensiv mit der Gentechnik befasst und fachkundige Argumente dagegen gesammelt. Anschließend bin ich von Hof zu Hof gezogen und habe meine Kollegen überzeugen können. 2006 war Storndorf gentechnikfrei«, berichtet er. Schnell traten Landwirte aus den umliegenden Orten der Initiative bei.

»Der größte Nachteil der Agrogentechnik liegt darin, dass sie nicht wieder gestoppt werden kann, wenn sie einmal freigesetzt wurde. Bei der Atomkraft gibt es eine Halbwertzeit. Die Radioaktivität baut sich ab. Bei der grünen Gentechnik haben wir aber Verdopplungszeiten«, sagt Hamel. Er beklagt, dass der Verbraucherschutz und die Bauern seitens der EU der Industrie geopfert wurden. Denn schließlich gab es einmal ein EU-Moratorium gegen die grüne Gentechnik. »Aber die Welthandelsorganisation hat gesagt, wenn ihr eure Autos und eure Maschinen weltweit verkaufen wollt, dann dürft ihr euch nicht gegen die Gentechnik sträuben.«

Peter Hamel geht noch immer von Hof zu Hof. Mittlerweile hat er viele wissenschaftliche Gutachten gelesen, die ein düsteres Bild von der Gentechnik zeichnen. Die Behauptung, dass gentechnisch veränderte Soja angeblich billiger als gentechnikfreie ist, bezeichnet er als Märchen. »Das ist nur scheinbar so. Gentechnisch veränderte Soja hat einen niedrigeren Proteingehalt als gentechnikfreie. Also muss der Landwirt mehr füttern, um den gleichen Effekt zu erzielen. Unter dem Strich kommt er also nicht billiger weg. Und es gibt Hinweise, dass die Krankheitsanfälligkeit der Tiere bei erhöhten Dosen von gentechnisch verändertem Futter steigt«, warnt der Landwirt.

Der Widerstand gegen die Gentechnik sei notwendig, meint Hamel, denn Jahr für Jahr erhöhe sich der Anteil gentechnisch veränderter Organismen. 2005 seien es 341 Hektar, 2006 rund 950 Hektar gewesen, die mit gentechnisch veränderten Saaten bestellt worden seien. Im letzten Jahr habe es – nach der Zulassung von drei gentechnisch veränderten Maissorten – einen Sprung auf knapp 2700 Hektar gegeben.

Die Gegner der grünen Gentechnik in der Rhön und im Vogelsberg befürchten auch für die nächsten Jahre eine Erhöhung der Anbaufläche für gentechnisch manipulierte Saaten, wenn weitere Sorten erlaubt werden. Das größte Risiko für die Natur und den Menschen sieht Michael Geier beim gentechnisch veränderten Raps. »Seine Pollen verbreiten sich über große Distanzen und kreuzen sich aus«, sagt der Regierungsdirektor. Der weltweit bisher längste Praxisversuch gibt seinen Bedenken Recht, denn dieser zeigt, dass in den Feldern mit gentechnisch verändertem Raps und Zuckerrüben Insekten und Wildpflanzen signifikant abnehmen. Von Bienen wurde der Pollen bis zu 26 Kilometer entfernt transportiert – das ist acht Mal weiter als bisher von der Wissenschaft angenommen.

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