Zweifel am freien Willen

Studie belegt meist unbewusste Vorentscheidung

  • Walter Willems
  • Lesedauer: 2 Min.

Schon vor über 20 Jahren maß der amerikanische Neurophysiologe Benjamin Libet ein Gehirnsignal, das bewussten Entscheidungen um einige hundert Millisekunden vorausgeht. Der Forscher sprach von einem »Bereitschaftspotential«. Die Experimente lösten damals eine Debatte um die Willensfreiheit aus. Wenn Entscheidungsprozesse unbewusst ablaufen, sei der freie Wille nur eine Illusion, argumentierten Neurologen. Kritiker bezweifelten das und begründeten dies vor allem mit der kurzen Zeitspanne zwischen Bereitschaftspotential und bewusster Entscheidung.

Zumindest dieses Argument wird durch die neue Studie entkräftet: Die Forscher um John-Dylan Haynes vom Berliner Bernstein Center for Computational Neuroscience untersuchten mit Hilfe der Magnetresonanz-Tomographie ebenfalls jene Hirnvorgänge, die bewussten Entscheidungen vorausgehen. »Viele Prozesse im Gehirn laufen unbewusst ab«, sagt Haynes. »Wir wären sonst schon mit alltäglichen Aufgaben der Sinneswahrnehmung und Bewegungskoordination überfordert.«

Die Teilnehmer sollten entscheiden, ob sie einen Knopf mit der rechten oder mit der linken Hand betätigen. Danach sollten sie angeben, zu welchem Zeitpunkt sie die Wahl getroffen hatten. Bereits sieben Sekunden vor der bewussten Entscheidung konnten die Wissenschaftler aus der Aktivität des sogenannten frontopolaren Kortex an der Stirnseite des Gehirns vorhersagen, welche Hand die Teilnehmer wählten. Zwar lag die Trefferquote nur bei etwa 60 Prozent. Dies liegt aber noch immer deutlich über der Zufallswahrscheinlichkeit von 50 Prozent. Die Forscher leiten in ihrem Artikel im Fachjournal »Nature Neuroscience« (online, doi: 10.1038/ nn.2112) daraus ab, dass die Entscheidung schon zu einem gewissen Grad unbewusst angebahnt, aber noch nicht endgültig gefallen war. Nach dem Entscheidungsprozess im frontopolaren Kortex werden die Informationen zur Ausführung der Tätigkeit und zur Festlegung des Handlungszeitpunkts in andere Hirnbereiche übermittelt.

Mit der Studie haben Haynes und seine Mitarbeiter zwar manche Zweifel an Libets Experimenten aus dem Weg geräumt. Dennoch liefert das Resultat keinen Beweis gegen die Existenz eines freien Willens. »Nach unseren Erkenntnissen werden Entscheidungen im Gehirn zwar unbewusst vorbereitet«, sagt Haynes. »Wir wissen aber nicht, wo sie endgültig getroffen werden und ob man sich entgegen einer vorgebahnten Entscheidung des Gehirns auch anders entscheiden kann.«

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