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»Sieg über menschliche Bestialität«

In Warschau gedachte man in dieser Woche der Helden des Ghetto-Aufstands 1943

  • Julian Bartosz und
  • Lesedauer: 4 Min.
Holger Politt, Warschau

Am 19 April jährt sich zum 65. Mal der Ausbruch des Aufstands im Warschauer Ghetto. Es war eine der größten Tragödien im Zweiten Weltkrieg:

Mutige jüdische Kämpfer stellten sich der mörderischen faschistischen Übermacht, um mit der Waffe in der Hand einen würdigen Tod zu sterben.

In Warschau fanden in dieser Woche zum Gedenken an diesen heroischen Kampf viele historische, künstlerische und politische Veranstaltungen statt. Die wichtigste war bereits am Dienstag ein polnisch-israelischer Staatsakt vor dem Ehrenmal für die Helden des Warschauer Ghettos auf dem ehemaligen Umschlagplatz.

Von diesem Platz aus wurden in den Jahren 1942 und 1943 täglich 6- bis 7000 Menschen zur Vergasung in das unweit Warschaus am Bug gelegene Vernichtungslager Treblinka geschleppt. Als von ursprünglich etwa 350 000 im »jüdischen Wohnviertel« zusammengepferchten Menschen nur noch etwa 60 000 übrig geblieben waren, sollten auch sie liquidiert werden. Der am 18. Januar 1943 von Wehrmachts- und Polizeieinheiten unternommene Versuch, die »Bereinigung« Warschaus zu vollenden, wurde von etwa 1000 Mitgliedern der Jüdischen Kampforganisation (ZOB) und des Jüdischen Militärbundes (ZZW) vereitelt. Der zweite faschistische Sturm gegen das »Restghetto« – mit Panzern, Artillerie, Stukas und Flammenwerfern verstärkt – begann am 19. April und dauerte bis zum 16. Mai. Etwa 7000 Aufständische fielen, 55 000 Menschen wurden nach »Aufreibung des Judenpacks« nach Treblinka gebracht und ermordet. Am 16. Mai erstattete der kommandierende General Jürgen Stroop seinen Vorgesetzten Meldung: »Es gibt keinen jüdischen Wohnbezirk in Warschau mehr.« Einer der jüdischen Kämpfer, Arie Wilner, schrieb damals in sein Notizbuch: »Wir wollen nicht unser Leben retten. Niemand von uns wird hier herauskommen. Wir wollen die menschliche Würde retten.«

Als Szmul Zygielbojm, ein Aktivist des linken »Bundes«, der sich 1940 nach London gerettet hatte, am 28. April 1943 von dem Massaker im Ghetto erfuhr, richtete er einen Aufruf an die Weltöffentlichkeit: »Möge doch das heldenhafte Aufgebot der Todesmutigen im Warschauer Ghetto die gleichgültige Welt aus ihrer Passivität aufrütteln und der Größe des Augenblicks gemäß tätig werden.« Zwei Wochen später wählte Zygielbojm den Freitod, um gegen die Untätigkeit der Alliierten zu protestieren. Auch Jan Karski, Emissär des polnischen »Untergrundstaates«, berichtete von der Erfolglosigkeit seiner Mission, Politiker der Westmächte über den Untergang der Juden in Ghettos und Vernichtungslagern zu informieren und sie zum Handeln zu animieren.

Darüber fiel beim diesjährigen Staatsakt freilich kein Wort. Bevor ein polnischer Offizier die Gefallenen symbolisch zum Appell aufrief, hielten die Staatspräsidenten Polens und Israels ihre Trauerreden. Lech Kaczynski verbeugte sich im Namen aller Polen vor den Ghetto-Helden. Es habe an ungezählten Orten heldenhaften Widerstand gegen die faschistischen Aggressoren und Okkupanten gegeben, aber die Aufstände im Warschauer Ghetto, in Treblinka und Sobibor seien von besonderer Art gewesen.

Israels Präsident Schimon Peres erklärte, die Aufständischen hätten den Kampf zwar verloren, »aber aus geschichtlicher Perspektive hat es noch nie einen solchen Sieg gegeben, den Sieg des Menschen über die menschliche Bestialität«. Und weiter: »Unsere Vergeltung für die Shoah besteht darin, dass wir im jüdischen Staat in Landwirtschaft, Medizin und moderner Technik weltweit führend sind. Wir wollen Frieden, und das ist unsere Vergeltung.«

Zur Gedenkveranstaltung waren auch Warschaus Partnerstädte eingeladen. Berlin wurde durch Bürgermeister und Senator Harald Wolf vertreten, der die besondere historische Verantwortung der deutschen Hauptstadt hervorhob.

Die Zeremonie wurde von polnischen und israelischen Sicherheitskräften streng bewacht, die Warschauer Bevölkerung konnte den Staatsakt nur aus der größerer Entfernung verfolgen. Hubschrauber kreisten über dem Stadtviertel.

Anlässlich des folgenden offiziellen Staatsbesuchs von Schimon Peres betonten Kommentatoren die gedeihliche israelisch-polnische Kooperation im Rüstungsbereich. Das TVP-Fernsehen zitierte das israelische Blatt »Haaretz«, das von »Waffenbrüdern« geschrieben hatte. Vor Mitgliedern beider Kammern des polnischen Parlaments hielt Peres eine Rede über Höhen und Tiefen der polnisch-jüdischen Beziehungen in der langen gemeinsamen Geschichte.

Anzumerken bleibt, dass auch die Ghetto-Gedenkfeier nicht ohne Geschichtsmanipulation blieb: Polnische Veranstalter und Medienkommentatoren stellten zwar die Hilfe der bürgerlichen »Landesarmee« (AK) für das kämpfende Ghetto heraus, der wichtigere Hilfseinsatz der linken »Volksgarde« (GL) wurde dagegen verschwiegen.

Der Ideologe von »Radio Maryja«, Prof. Jerzy Robert Nowak, setzte auch in den Tagen vor dem Staatsakt seine Kampagne gegen die »Verderber des polnischen Volkes« fort und hielt in zahlreichen Pfarreien antisemitische Hetzreden. Die Bischöfe wussten davon.

Zugleich wurde der Grundstein für ein Museum der Geschichte der polnischen Juden gelegt, das 2010 fertiggestellt sein soll. Nach den Worten Feliks Tychs, langjähriger Direktor des Jüdischen Historischen Instituts, soll es vor allem Zeugnis für die jahrhundertelange Gegenwart der Juden in Polen ablegen, die ein wichtiger Teil der polnischen Gesellschaft waren und von denen 90 Prozent in den Kriegsjahren ermordet wurden.

Siehe auch Seite 22

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