Artenschutz – zu leicht genommen

Umweltverbände legen Handlungskatalog vor / Biodiversität soll Wahlkampfthema werden

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Von Michaela von der Heydt
Am Inselsberg im Naturpark Thüringer Wald ND-
Am Inselsberg im Naturpark Thüringer Wald ND-

Vier Wochen vor der 9. UN-Konferenz zur biologischen Vielfalt (COP9) in Bonn haben die großen deutschen Umwelt- und Naturschutzverbände Bundeskanzlerin Angela Merkel aufgefordert, das Thema auch hierzulande zur Chefsache zu machen.

Seit Jahrzehnten war der Schutz biologischer Vielfalt Thema großer UN-Konferenzen. Es wurden Ziele festgesetzt – 1972 in Stockholm, 1992 in Rio und 2002 in Johannesburg. Doch die Vorgaben für 2010 bis heute nicht im Geringsten umgesetzt, kritisierte gestern Hubert Weinzierl, Präsident des Deutschen Naturschutzringes, in Berlin. Der Dachverband der Umweltverbände legte gemeinsam mit BUND, NABU und Euronatur einen Forderungskatalog vor, anhand dessen Bund und Länder ihre eigenen Hausaufgaben in Sachen Schutz der Biodiversität machen sollten. Sonst könne Deutschland als Gastgeber der COP9 kaum glaubwürdig von anderen Staaten hier mehr Engagement einfordern.

Nachholbedarf besteht danach schon beim Schutz von FFH-Gebieten (EU-Richtlinie Fauna-Flora-Habitat). Tatsächlich werde hier jede umweltschädliche »Sauerei« genehmigt, kritisierte der BUND-Vorsitzende Hubert Weiger. Die 25 Prozent geschützte Landesfläche stünden nur auf dem Papier. Bundesweit seien nur 0,5 Prozent nutzungsfrei. In dem Zusammenhang forderten die Verbände, den Flächenverbrauch für Verkehr von etwa 120 Hektar pro Tag auf 30 Hektar zu reduzieren. Dafür müsse der Bundesverkehrswegeplan korrigiert werden. Die Ignoranz der Bundesregierung sei ein Musterbeispiel politischen Versagens.

Handlungsbedarf bestehe vor allem bei der Landwirtschaft. Gründe für den hier besonders gravierenden Rückgang der Artenvielfalt seien die Intensivierung, Überdüngung, Pestizidanwendung und die Zerstörung von Kleinstrukturen. Weiger kritisierte hier Bundesagrarminister Horst Seehofer (CSU) dafür, als »Lobbyist der Agrarindustrie die Interessen der bäuerlichen Landwirtschaft und des Naturschutzes zu verraten«, weil er die Umverteilung von EU-Agrarsubventionen hin zur regionalen Förderung offener Agrarlandschaft blockiere. Die Umwerteilung würde auch dem Schutzgebietsnetz Natura 2000 nutzen. Das sei eine Erfolgsstory und werde weltweit in Ansätzen kopiert, meinte Joachim Mader vom NABU. »Widersinnig« sei deshalb eine Bundesratsinitiative von Hessen, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen, dies anzugreifen und auch die FFH- und die Vogelschutzrichtlinie abschwächen zu wollen. Bereits jetzt gebe es bundesweit nur noch 21 Prozent unzerschnittene Naturräume mit mindestens 100 Quadratkilometern Fläche. Mader warnte zudem, auch 2008 den Meeresschutz zu bremsen und griff die Fangmethoden mit Schleppnetzen scharf an. 30 Prozent von ihnen blieben am Meeresboden hängen, wo die Tiere sinnlos stürben, und 80 Prozent der Fischbestände seien überfischt. Das treffe wieder arme Länder, deren Menschen von der Küstenfischerei lebten. Mader forderte für 40 Prozent der Meere absoluten Schutz.

Ein weiterer Schwerpunkt müsse die Erhaltung der letzten ungenutzten Buchenwälder sein. Auf Deutschland entfallen nach Angaben der Umweltverbände 25 Prozent der weltweiten Buchenwälder. Der einst vorherrschende Baum Mitteleuropas findet sich nur noch auf 4,8 Prozent der Landesfläche. Für wenigstens zehn Prozent müsste ein nationales Schutzprogramm aufgestellt und die Verkehrssicherungspflicht abgeschafft werden.

Die Verbände riefen Bundeskanzlerin Angela Merkel auf, Biodiversität wie den Klimaschutz zur Chefsache zu erklären und kündigten an, dies zum Wahlkampfthema zu machen. Die Nationale Strategie zur biologischen Vielfalt sei ein Kabinettsbeschluss. Die Umsetzung dürfe nicht den Ministern Horst Seehofer und Wolfgang Tiefensee (SPD) für den Verkehrsbereich überlassen werden, der »Flüsse staut oder versteinert«. Weiger forderte zudem, das grüne Band auf dem einstigen Grenzstreifen umzusetzen und die Übertragung von Bundesflächen nicht von der Bezahlung des Personals abhängig zu machen. Der Schutz großartiger Naturlandschaften könne nicht nur Ländersache sein.

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