Kritik an Hamburger Schulmodell

Bildungsforscher: Sechsjährige Grundschule benachteiligt gute Schüler

  • Jürgen Amendt
  • Lesedauer: 2 Min.
Die von der frisch gebackenen schwarz-grünen Koalition in Hamburg geplante sechsjährige Grundschule ist nach Meinung des Berliner Bildungsforschers Rainer Lehmann kein Erfolgsmodell. Der Wissenschaftler beruft sich auf eine eigene, noch nicht veröffentlichte Studie zu den Lernfortschritten von Kinder in den 5. und 6. Klassen der Gymnasien gegenüber Gleichaltrigen der sechsjährigen Berliner Grundschule.

Sie liegt offiziell noch gar nicht vor, sorgt aber schon seit Tagen nicht nur in der Hauptstadt für Schlagzeilen – die Grundschulstudie des Bildungsforscher Rainer Lehmann. In Auftrag gegeben hatte sie vor vielen Jahren der damalige Berliner Bildungssenator Klaus Böger (SPD). Lehmann sollte, so die Intention Bögers, untersuchen, welche Auswirkungen die sechsjährige Grundschule in der Hauptstadt auf den Leistungsstand wie auf das Sozialverhalten der Schüler hat. In der sogenannten Element-Studie testete der Bildungsforscher von der Humboldt-Universität 3000 repräsentativ ausgewählte Grundschüler sowie 1700 Gleichaltrige, die ein Gymnasium besuchen.

In Berlin können Eltern wählen, ob sie ihr Kind nach vier Jahren auf das Gymnasium schicken oder weitere zwei Jahre lang in der Grundschule lassen. Die Stadt stellt damit eine Besonderheit innerhalb der Bildungslandschaft in Deutschland dar. Fast überall werden Kinder bereits nach der vierten Klasse nach Schulformen gesiebt. Diese Praxis, die zum Beispiel von der für die PISA-Studien verantwortlichen Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) immer wieder kritisiert wird, ist international unüblich.

Die jetzt häppchenweise von Rainer Lehmann an die Öffentlichkeit gegebenen Informationen dürften Balsam für die durch die PISA-Kritik geschundenen Seelen konservativer Bildungspolitiker und Verbandvertreter sein. Hans-Peter Meidinger, Vorsitzender des Deutschen Philologenverbandes, nahm die Steilvorlage Lehmanns denn auch gerne an. Die Schulpläne der schwarz-grünen Koalition in Hamburg drohten »das einst so leistungsfähige Hamburger Gymnasium zu beschädigen«.

Auch Lehmann selbst bricht eine Lanze für das Gymnasium. Als ein Hauptproblem sieht er, dass in Berlin Grundschullehrer die Kinder auch in der 5. und 6. Klasse unterrichten. Er wolle aber nicht ausschließen, dass das Modell der verlängerten Grundschule in der Hansestadt funktionieren könne, etwa durch den Einsatz von Gymnasiallehrern in der 5. und 6. Klasse.

Im Berliner Senat ist man über das Verhalten Lehmann indes vergnatzt. Man sei verärgert, dass der Bildungsforscher mit Teilergebnissen einer Studie an die Öffentlichkeit gehe, die Bildungssenator Jürgen Zöllner (SPD) erst seit einigen Tagen vorliegen habe, aber noch nicht lesen und auswerten konnte, heißt es aus der Schulsenatsverwaltung. Kritik kommt auch vom Berliner Grundschulverband. Dessen Chef Peter Heyer kritisiert das methodische Vorgehen Lehmanns. Wenn die Gymnasien sich die besten Schüler aussuchen dürften, seien deren Leistungsvorsprung nicht verwunderlich.

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