nd-aktuell.de / 21.04.2008 / Wirtschaft und Umwelt / Seite 9

Vergeudung von Rohstoffen

China setzt künftig stärker auf qualitatives Wachstum

Werner Birnstiel
Chinas Führung kommt allmählich von der reinen Wachstumsideologie ab. Künftig soll mehr Wert auf eine qualitative Entwicklung gelegt werden.

Im Jahr 2007 wuchs Chinas Bruttoinlandsprodukt um 11,4 Prozent und damit so stark wie seit 1994 nicht mehr. Der Außenhandelsüberschuss erreichte die Rekordhöhe von 262,2 Milliarden US-Dollar und lag damit um 47,7 Prozent über dem von 2006. Parallel dazu kletterte die Inflationsrate auf 4,8 Prozent, im Februar 2008 betrug sie schon 8,7 Prozent. Ministerpräsident Wen Jiabao räumte auf dem Nationalen Volkskongress deshalb ein, die steigenden Verbraucherpreise und ein anhaltend überhitztes Wirtschaftswachstum könnten China das »schwerste Jahr« seit Einleitung der Öffnungspolitik 1978 bescheren.

Die wirtschaftliche Entwicklung hat sich in vielen Bereichen einem Niveau angenähert, wo qualitative Kriterien statt reine Wachstumsziele bestimmend werden. Angesichts weltweit steigender Preise für Energie, Rohstoffe und Lebensmittel ist die ungeheure Vergeudung von Roh- und Brennstoffen sowie anderer Materialien unhaltbar. Zudem werden massenhaft Güter produziert, die aufgrund ihrer Qualitätsmängel oder wegen fehlenden Bedarfs Ladenhüter sind. Umso mehr geht es darum, das wissenschaftlich-technische Potenzial schneller und effizient in die Produktion zu überführen. Nötig sind die rationellere Nutzung von Bau- und Gewerbeflächen sowie die Erneuerung der Ausrüstungen auch in kleinen und mittelständischen Unternehmen.

Dazu braucht es aber auch eines größeren Reservoirs an gut ausgebildeten Fachkräften. Sie zählen inzwischen zu den begehrtesten Trägern des Aufschwungs, während es für Hochschulabsolventen vor allem aus nichttechnischen Bereichen schwierig ist, eine angemessene Arbeit zu finden. Und der Leistungsdruck steigt, weil trotz des verminderten Bevölkerungszuwachses jährlich 10 Millionen neue Arbeitsplätze geschaffen werden müssen. Demgegenüber nimmt die Zahl der sehr gering oder nicht qualifizierten Wanderarbeiter nicht ab. Sie drängen vor allem in die entwickelten Küstenregionen.

Die Abschaffung verschiedener Steuern im Bereich der Landwirtschaft sowie die umfangreichen staatlichen Investitionshilfen für die ländlichen Gebiete beginnen allmählich zu wirken. Ob es künftig zur verstärkten Entwicklung genossenschaftlicher Agrarbetriebe kommt, bleibt indes abzuwarten. Ebenso war die jüngste Aufwertung der nationalen Umweltbehörde Sepa zum Umweltministerium ein wichtiger Schritt beim Übergang zu einer Politik der qualitativen ökonomischen Entwicklung.

Daran führt auch wegen der starken Einbindung in den Weltmarkt kein Weg vorbei. Chinas Anteil an der Weltwirtschaft betrug 2007 nach neueren Berechnungen 10,9 Prozent. Dies ist zwar etwa fünf Prozent weniger als bisher angenommen. Trotzdem ist China einer der wichtigsten Ex- und Importeure im Welthandel. Dies wird wegen des kräftigen Wirtschaftswachstums und der hohen Außenhandelsüberschüsse zu einer Aufwertung des Yuan führen, den die G7-Staaten fordern. Dadurch würden sich die Importe nach China verbilligen und der Exportzuwachs sich verlangsamen. So könnte das überhitzte Wirtschaftswachstum abgemildert werden.

Allerdings zeigt auch der Tibet-Konflikt, wie kompliziert Chinas marktwirtschaftliche Entwicklung verläuft. In Gesprächen wird unverblümt geäußert: »Welcher Han-Chinese will schon nach Tibet?« Es sei denn, Partei oder Regierung schicken die Betroffenen. Oder aber besonders gewinnträchtige Tätigkeiten locken. Chinas oft zu rasante wirtschaftliche Entwicklung und die damit verknüpften radikalen Umbrüche, tief verwurzelte religiöse und geistig-kulturelle Unterschiede sowie historisch lang gehegte gegenseitige Vorbehalte können zu gewaltsamen Auseinandersetzungen führen, wie sie jüngst in Tibet zu erleben waren.