nd-aktuell.de / 21.04.2008 / Wirtschaft und Umwelt / Seite 9

Bauern planen Milchboykott

Bundesverband der Milchviehhalter beklagt drastisch gesunkene Preise

Jürgen Meenken vom Bund Deutscher Milchviehhalter in Sachsen-Anhalt hat 340 Kühe und beschäftigt neun Mitarbeiter.
Jürgen Meenken vom Bund Deutscher Milchviehhalter in Sachsen-Anhalt hat 340 Kühe und beschäftigt neun Mitarbeiter.

ND: Der Bundesverband der Milchviehhalter (BDM) hat seine 34 000 Mitglieder über einen Milchboykott abstimmen lassen. 88 Prozent sagten Ja. Stehen die Verbraucher bald vor leeren Milchregalen?
Meenken: Das kann passieren. Die Milchpreise stehen so unter Druck, dass wir bereit sind, mit drastischen Maßnahmen auf die Misere aufmerksam zu machen. Der BDM füllt die Hälfte der hiesigen Milchquote. Wenn eine Tagesproduktion nicht kommt, wird das für Deutschland, dem führenden Produzenten Europas, große Auswirkungen haben.

Also ab Montag beim Discounter noch mal Milchkartons bunkern?
Ich denke, Handel und Molkereien sollten unsere Forderungen ernst nehmen. Seit Jahresanfang sind die Preise im Sturzflug. Zahlten die deutschen Molkereien für einen Liter Rohmilch im November noch rund 40 Cent, sind es jetzt in Sachsen-Anhalt 32 bis 35 Cent oder in Schleswig-Holstein teils 28 Cent mit fallender Tendenz. In Europa wird eben wieder mehr Milch produziert. Mitte Mai werden wir entscheiden, wie es weitergeht.

Warum sollen die Ramschpreise die Verbraucher nicht freuen?
Weil sie mit der Geiz-ist-geil-Mentalität einen hohen Preis zahlen. Für die Molkereien sind wir Rohstofflieferanten, doch wir produzieren eines der strengst kontrollierten Lebensmittel. Wir haben in Deutschland noch 100 000 Milchviehhalter, ein weiteres Höfesterben wäre fatal. Bei uns in Sachsen-Anhalt wird stark in Lohnarbeit produziert. Die 700 Betriebe haben im Schnitt über 200 Kühe. Da fallen erhebliche Kosten an, für Löhne und Banken, die nach der Wende unsere Investitionen finanziert haben. In kleinen Betrieben heißt es, den Gürtel noch enger zu schnallen und die Familienmitglieder schuften unter Sozialhilfeniveau.

Haben solche Betriebe auf Dauer überhaupt noch eine Chance?
Wir wollen, dass Betriebe aller Größenordnungen die Chance haben, am Markt zu agieren und vom Milchgeld zu existieren. Milchviehbetriebe, die einmal weg sind, kommen nicht wieder. Damit stirbt die bodenständige, generationenübergreifende Landwirtschaft und ein Stück Kulturlandschaft. Wo keine Tiere weiden, fehlt etwas vom Dorfbild.

Was fordern die Milchbauern?
Wir brauchen 43 Cent pro Liter. Allein die Futterkosten pro Liter Milch sind um sieben Cent gestiegen. Ich denke, der Verbraucher hat dafür Verständnis, wenn er weiß, dass die Wertschöpfung beim Urproduzenten ankommt. Das Geld bleibt jedoch beim Handel und den Molkereien hängen. Auch die Politik darf sich nicht aus der Verantwortung stehlen, wenn die Strukturen in Deutschland und Europa erhalten bleiben sollen. Fällt der EU-Außenschutz, kommen Milchprodukte niederer Standards aus Asien. Milch ist etwas anderes als Schuhe, die billiger von dort kommen. Wir wollen weiter hochwertige Produkte über eine flexible Mengensteuerung. Dazu müsste man uns für ein Jahr vollkostendeckende Preise anbieten.

Wenn der Boykott kommt, blutet Ihnen nicht das Herz, wenn Milch literweise in die Kanalisation geht?
Jeder Landwirt muss sich um die Verwertung kümmern. Meine Tiere freuen sich, wenn die gute Milch gefüttert wird. Aber lieber wäre uns, wenn unsere Gespräche mit den Molkereien fruchten. Die sollten begreifen, dass es auch um deren Existenz geht. Noch gibt es gut 100 Molkereien in Deutschland, zur Wende waren es allein in Ostdeutschland noch 360.

Fragen und Foto: Uwe Kraus