Ein Park im »Schiffshebewerk«

In der Erfurter Innenstadt wird jetzt eine Baubrache aus DDR-Zeiten neu gestaltet

  • Anke Engelmann, Erfurt
  • Lesedauer: 3 Min.
Am westlichen Zipfel des Erfurter Angers, schräg vor der Staatskanzlei, liegt eine Baugrube, etwa 100 Meter im Quadrat groß und bis zu fünf Meter tief. Fragen Touristen, bekommen sie von den Erfurtern zu hören: »Hier stand zu DDR-Zeiten das Schiffshebewerk.«
Aus der Brache in Erfurts Zentrum soll ein Park werden.
Aus der Brache in Erfurts Zentrum soll ein Park werden.

Unter dem Beifall von 250 Anwesenden zieht Zimmerermeister Dirk Wuchold den bunten Richtkranz auf den Dachstuhl. Richtfest am westlichen Wachhaus. Am 6. September 2008 soll es wiedereröffnet werden. Ein historisches Datum, erläutert Anselm Räder, Vorsitzender des Vereins Westliches Wachhaus: Im September und Oktober 1808 fand in Erfurt der Fürstenkongress statt. 250 000 Euro stecken in dem Bau, 3000 Euro kommen von der Lottostiftung, der Rest sind private Spenden, Arbeitsleistungen und Material von mehr als 50 Handwerksfirmen und Lieferanten, sagt Räder.

Der Denkmalsschützer, Maurer, Architekt und Städtebauer hat sich dem Wiederaufbau des früheren Stadtwache-Gebäudes verschrieben und mit Anderen den Verein gegründet. Ein Zeichen habe man setzen wollen, ein Sig-nal an die Verwaltung, »dass was geschehen muss«.

1985 stand das Häuschen, das auf der anderen Seite des Hirschgarten genannten kleinen Parks einen Zwillingsbruder hat, der Errichtung eines Großkulturhauses im Wege. Und so wurde das 1740 errichtete Wachhaus »zurückgebaut« und »zwischengelagert«. Jetzt ist das Wachhaus wieder da. Bald wird sich auch die hässliche Wunde schließen, die das Großkulturhaus in der Erfurter Innenstadt hinterlassen hat. Ab Montag wird das Loch zugeschüttet.

Das Kulturhaus war ein Projekt der damaligen Bürgermeisterin von Erfurt, Rosemarie Seibert, im Volksmund »rote Rosi« genannt, und des SED-Bezirkschefs Gerhard Müller. Dafür zerstörte die Abrissbirne zunächst das mittelalterliche Quartier zwischen der Eichenstraße und dem damaligen Platz der DSF. Dann mussten Unmengen von Grundwasser abgepumpt werden, so dass die Erfurter schon bald über das »Schiffshebewerk« spotteten. Riesige Metallpfähle kamen in die Erde, wurden mit Beton umkleidet. Doch dann folgten die Wende und das Aus für Seibert und ihre Vorstellungen von einer modernen sozialistischen Stadt.

Zum Glück. Erfurt blieb so der Innenstadtring erspart, ein weiterer ehrgeiziger Plan, dem große Teile der historischen Altstadt geopfert werden sollten. Und das »Schiffshebewerk« entpuppte sich als überdimensionierte Fehlplanung, denn das als Konzertsaal mit wenigen Nebenflächen konzipierte Haus konnte nicht wirtschaftlich arbeiten.

So gammelte das Betonskelett bis zum endgültigen Abriss 1996 vor sich hin. Nutzungsmöglichkeiten – von Einkaufszentrum bis Theater – scheiterten allesamt an dem unansehnlichen Koloss und der Vorsicht potenzieller Investoren. Es habe zwei Versuche gegeben, das Gelände zu veräußern, berichtet Ingo Mlejnek, in der Erfurter Stadtverwaltung Beigeordneter für Bau und Verkehr. Doch Interessenten hätten sich immer wieder zurückgezogen.

Und so blieb die Baugrube. »Meine Kunden wundern sich schon – gerade die, die von weither kommen«, sagt Geigenbaumeister Wilhelm Brückner. Seit 111 Jahren hat die Familie ihre Werkstatt in der Regierungsstraße 66. Das kleine grüne Fachwerkhaus liegt auf der gegenüberliegenden nördlichen Straßenseite. Sonst wäre es wohl ebenfalls der Bauwut der »roten Rosi« zum Opfer gefallen.

Brückner hat das Treiben all die Jahre live erlebt: den Abriss der Häuser gegenüber, wo jetzt ein Parkplatz ist und wo das Funktionsgebäude für das Kulturhaus stand. Oder den Lärm, als die Eisenpfähle in die Erde gerammt wurden. 1993 war der heute 75-Jährige sogar auf dem »Schiffshebewerk«: als Stadtführer, eine Rolle in einem Film über Erfurt. Nun scheine ja aus der Grube doch noch was zu werden, sagt er. »Je nachdem, wie lange das Geld reicht«, wirft seine Tochter Ruth skeptisch ein.

Was aus der Grube wird, entschieden am Ende die Erfurter Bürger. Befragt, ob sie lieber eine Grünfläche, eine klein- oder großteilige Bebauung haben wollen, sprach sich die Mehrheit für ersteres aus. So wird aus der Brache bald ein Park. 2009 sollen die Arbeiten abgeschlossen sein, hofft Ingo Mlejnek. Doch nicht alle sind über diese Lösung glücklich. Aus städtebaulicher Sicht wäre ein Einkaufszentrum am westlichen Angerzipfel sinnvoller, meint Mlejnek. Auch Räder zweifelt: »Ob das der Weisheit letzter Schluss ist?« Das Gelände mitten in der Innenstadt sei viel zu wertvoll für eine Grünfläche. »Das war immer bebaut.«

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