Schäubles dubiose Offerte für Iraks Christen

Deutschlands Innenminister will Flüchtlingsaufnahme an religiösen Kriterien festmachen

  • Karin Leukefeld
  • Lesedauer: 3 Min.
Knapp 4000 Demonstranten zumeist irakischer Herkunft haben in Belgien auf die Gewalt gegen Christen in Irak aufmerksam gemacht. Für die Pläne des deutschen Innenministers Wolfgang Schäuble (CDU), in gegenseitiger Abstimmung vorübergehend verfolgte irakische Christen in Europa aufzunehmen, gab es beim EU-Innenministertreffen keine Mehrheit – weil dies verfolgte Iraker anderer Konfessionen diskriminieren würde.

»Wir haben in den Nachrichten gehört, dass die deutsche Regierung 20 000 katholische christliche Familien aufnehmen will. Stimmt das?« Wie ein Lauffeuer hat sich der Vorstoß des deutschen Innenministers Wolfgang Schäuble unter den Christen in Irak verbreitet. Youssif, ein irakischer Freund, schreibt seitdem fast täglich eine E-Mail und fragt nach: Ob es 20 000 Familien oder 20 000 einzelne Christen sein werden, will er wissen, ob sie aus Irak kommen können oder ob nur solche Christen aufgenommen würden, die schon nach Libanon, Syrien, in die Türkei oder nach Nordirak geflohen seien?

Nie wollte Youssif Irak verlassen – selbst wenige Wochen vor dem Krieg, im Frühling 2003, schlug er die Chance aus, mit Frau und Kindern nach Syrien zu Verwandten auszureisen. »Unsere Heimat ist hier«, sagte Youssif damals. »Unser Haus, unsere Familie, meine Eltern leben hier. Vielleicht wird alles eines Tages besser!«

Doch fünf Jahre später liegen seine Nerven blank. Eine Nachbarin wurde von Unbekannten ermordet, Freunde kamen auf die eine oder andere Weise ums Leben, Youssif verlor seine Arbeit. Alle Versuche, eine neue Existenz aufzubauen, schlugen fehl. Zweimal entging er knapp einer Autobombenexplosion, sein Wohnviertel am Ostufer des Tigris hat er seit drei Jahren nicht mehr verlassen.

Hala, eine 65-jährige Nachbarin von Youssif, stammt aus einer arabisch-kurdischen Familie: Der Vater war schiitischer Araber aus Najaf, die Mutter sunnitische Kurdin aus Diyarbakir. Hala ist Schiitin, wurde säkular erzogen und studierte im Ausland. Die Angriffe auf Kirchen und Christen machen sie besonders wütend. »Dies ist die Heimat der Christen«, wettert sie am Telefon. »Die Sabäer, die Mandäer, die Assyrer, sie waren lange hier, bevor die Muslime kamen!« Hala kritisiert die Engstirnigkeit religiöser Eiferer und verteidigt vehement das säkulare irakische Mosaik, in dem sie aufwuchs. »Mit Christen und Juden, wo die unterschiedliche Religionszugehörigkeit als Reichtum, nicht als Kriegserklärung galt«, erinnert sie sich. Wenn sie jünger wäre, so wie Youssif, würde sie Irak auf der Stelle verlassen: »Lieber illegal in Schweden als legal in diesem Irrenhaus«, kommentiert sie bitter. »Irak gibt es nicht mehr.«

Vor dem US-Einmarsch 2003 lebten nach Angaben der Vereinten Nationen etwa 1,5 Millionen Christen im Zweistromland, heute sind es noch höchstens 600 000. In Basra gibt es die Gemeinden der Chaldäer und Mandäer, die auch Sabäer genannt werden, nicht mehr. Das religiöse Zentrum der Sabäer am Tigris in Bagdad liegt verlassen. Viele Christen flohen nach Syrien, leben teilweise illegal in Libanon oder der Türkei oder haben Schutz bei ihren Glaubensbrüdern im kurdischen Nordirak gefunden.

In Kirkuk sitzt die assyrische Christin Silvana Khourani (30) im Stadtparlament, sie ist Mitglied im Ausschuss für soziale und religiöse Angelegenheiten. Mehr als 12 000 christliche Familien aus Bagdad lebten inzwischen in Kirkuk, berichtet sie. »Die reichen Familien erhielten Drohbriefe, von Unbekannten. Vor allem die gebildeten Leute flohen, die Akademiker, Hochschulprofessoren, Ärzte, Ingenieure.« Sie selber werde ihre Heimat nie verlassen, sagt sie mit Nachdruck: »Das ist unser Land. Wenn ich und andere fliehen, werden die Christen eines Tages aus Irak verschwunden sein. Manche der Kirchen wollen das so, sie sorgen dafür, dass die Christen sich in alle Welt verteilen, nur nicht mehr hier, in ihrem Ursprungsland leben.« Kirkuk sei immer ein Mosaik aus religiösen und ethnischen Gruppen gewesen, »Muslime, Kurden, Turkmenen, Christen« zählt sie auf. »Ich will, dass wir alle hier in Frieden zusammen leben.«

Das Ziel verfolgt auch Pater Denha Toma, katholischer Chaldäer in der irakisch-kurdischen Provinzhauptstadt Suleimania. Seine Gemeinde habe sich seit 2003 verdreifacht, berichtet der Pater, weil so viele Familien aus Bagdad und Mossul geflohen seien. Im Nordirak seien die Christen frei, niemand hindere sie, ihren Glauben zu praktizieren. »Das größte Problem ist die Arbeitslosigkeit, darum versuchen sie, ins Ausland zu fliehen.« Und dann fügt er noch hinzu: »Nicht nur die Christen werden in Irak bedroht und eingeschüchtert, alle einfachen Leute sind in Bedrängnis.«

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