Hemmungsloser Aufruhr

Im Gorki Studio Berlin: »Als wir träumten« von Clemens Meyer

  • Christoph Funke
  • Lesedauer: 3 Min.

Wütende Lebenslust, gegründet auf Protest, und auf Angst, Unsicherheit, Ziellosigkeit. Eine Jungenbande zieht Anfang der neunziger Jahre durch den Leipziger Osten, auf der Suche nach großem Abenteuer.

In seinem Roman »Als wir träumten« erzählt Clemens Meyer, wie die kaum Erwachsenen außer Rand und Band geraten. Alkohol und Drogen feuern sie an zu zügelloser Zerstörungswut, zu Raub und Autoklau und wilden Fantasien von entfesseltem Sex. Nacht für Nacht hinterlassen die Verschworenen eine Spur der Verwüstung, sie landen im Polizeirevier und im Knast, gehen auf Entzug und brechen wieder aus. Zwei von ihnen überleben die Tollheiten nicht. Aber Dani, Mark, Rico, Pitbull und Walter sind keine dumpfen Kriminellen. In ihnen brodelt es, die Freundschaft untereinander ist ihnen heilig, und sie haben Träume, wollen ihre Sehnsucht nach dem Außerordentlichen vom Himmel reißen, ohne jede Rücksicht. Sie suchen Antworten für die drängenden Fragen nach dem Untergang der DDR, die ihnen Erwachsene, Vorgesetzte aller Art, nicht geben können und wollen. Sie sind in eine neue Zeit geworfen – nichts gilt mehr. Die Pionierpädagogik der untergehenden DDR war für sie Witz und Alptraum, die Entwurzelung der Eltern stachelt ihren höhnischen Widerstand nur noch mehr an.

Und doch steht das trumpfend Aufgemischte, die lustvolle Brutalität in der Gruppe scheuer Zärtlichkeit und unbeholfenem Anlehnungsbedürfnis nicht im Wege. Warten wollen die jungen Draufgänger nicht, jeder Genuss muss her, trotz Tod und Teufel, und sie holen ihn sich mit Gewalt.

Clemens Meyer lässt in seinem Roman nur wenig Raum für Hoffnung. Die in Episoden und nicht in zeitlicher Abfolge erzählten Abenteuer der Bande haben eine Wucht und Härte, die nichts beruhigend Ausgleichendes zulassen. Armin Petras, der mit Carmen Wolfram und Clemens Meyer den Roman für das Schauspiel Leipzig und das Studio des Berliner Maxim Gorki Theaters bearbeitete, geht da gelassener, fast schon freundlicher vor. Er überantwortet die Wildheit der heranwachsenden jungen Männer an Schauspielerinnen. Dadurch kommt eine ironische Brechung ins Spiel, die alles männliche Großgetue steigert und hintergründig heiter kommentiert: Ja, so sind sie, die Kerle, und das muss mit deftiger Rücksichtslosigkeit herausgeschleudert werden.

Die Darstellerinnen toben über die Bühne, dass selbst den Zuschauern die Luft wegbleibt, sie rocken und tanzen mit fliegenden Haaren, rennen, klettern, zerlegen die graue Wand auf der sonst leeren Bühne (Ulrike Bresan, Kostüme Bernd Schneider) mit übermütigem Genuss. Aber dann gibt es bewegende, stille Szenen – wenn unbeholfene, aber brennende Liebe kaum noch zu zügeln ist, Freundschaft unter Sternen mit romantischer Schwärmerei beschworen wird oder Erinnerung an das Glück des Zusammenseins noch einmal durchbricht.

Aus der Geschlechtervertauschung destilliert Armin Petras manche Kostbarkeit. Berndt Stübner spielt die Alten – Oma, Lehrerin, Mutter – mit hinreißend süßlicher Zärtlichkeit, Anika Baumann legt den Autoknacker Fred mit telegener Grandezza hin, das Angeberische steigernd durch virtuose, streng bemessene Parodie. Es ist eine Lust, den jungen Damen um Anja Schneider (Dani) und Carolin Conrad (Rico) zuzusehen, sie verwandeln die Bühne in einen Platz des prallen Lebens, und zeigen zugleich, behutsam und nachdenklich, aus wie vielen Quellen sich die überschäumende Auflehnung speist. Schwarz gekleidet, mit den Fäusten in den Hosen- oder Jackentaschen, laden sie unreifes Macho-Gehabe mit hinreißendem Charme auf. Das gibt der Aufführung einen fröhlichen Dreh, der sich an der Bitterkeit der Romanvorlage ein wenig vorbeimogelt.

Nächste Aufführung: 13. Mai

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