Mumpitz am laufenden Band

  • Ernst Röhl
  • Lesedauer: 3 Min.
Flattersatz: Mumpitz am laufenden Band

Frauen sind eben doch mutiger. Neulich noch war die Ex-Bundestagsabgeordnete Marianne Tritz – seit 1985 Mitglied der Nichtraucherpartei Die Grünen – Nichtraucherin und Mitarbeiterin von Fraktionschef Fritz Kuhn. Neuerdings ist sie Geschäftsführerin und Cheflobbyistin des Verbandes der Zigarettenindustrie. Um ihren anspruchsvolleren Aufgaben gerecht zu werden, versucht sie, sich das gottverdammte Rauchen anzugewöhnen – trotz aller Warnungen: Rauchen kann tödlich sein, Rauchen führt zu Erektionsstörungen und Impotenz!

Heute nackt oder nie! So lautet die Maxime von Birgit Auras aus Neustadt in Schleswig-Holstein. Die Birgit, die eine Modeboutique betreibt, kandidierte auf Listenplatz elf für die Kommunalwahl. Um den Wahlsieg herbei zu zwingen, stellte sie kesse Akt- und Nacktfotos auf ihre Homepage, die sie selbst, die von Dessous nur kärglich verhüllte Kandidatin, »in teils lasziven Posen« zeigten. Dieses Übermaß an Transparenz mochte ihr humorloser SPD-Ortsverein nicht mittragen und schmiss sie raus aus der Partei. Na, schön. Was aber, liebe Genossinnen und Genossen, wenn, sagen wir, Kurt Beck eines Tages die Hosen runterlassen muss?!

Angela Merkel (CDU), bayreuthgestählt, nahm in Oslo an der Eröffnung der neuen Oper teil. Bei dieser Gelegenheit forderte sie mit ihrem Monsterdekolleté Pamela Anderson und alle an Blößenwahn kränkelnden tittenschweren »Bild«-Jungfern heraus. Das Leib-blatt der Kanzlerin veranstaltete sogleich eine Schönheitsumfrage, aus der (Zitat) »Royal Angie« mit 43 Prozent als Siegerin hervorging – vor Sarko-Lady Carla Bruni, die trotz maßvoller Körbchengröße auf Platz zwo einkam. Weit abgeschlagen: Hillary Clinton und Barack Obama. Ein Triumph unserer Kanzlerin der Herzen! Missgünstige Imageberaterinnen zerreißen sich seitdem die Mäuler über die unergründliche Tiefe des Dekolletés, die üblichen Verdächtigen natürlich, die jahrelang zuckersüß gefragt hatten: »Liebe Frau Dr. Merkel, welchen Beruf hat eigentlich Ihr Friseur?«

Das Dekolleté von Oslo ist alles andere als eine Modelaune. Es ist ein gleichsam staatsmännisches Dekolleté und hat eine ungeheure moralische Wirkung auf die deutsche Innenpolitik. Eine weitere Umfrage hat nämlich ergeben: Sexy Frauen machen Männer mutig! Beim Anblick einer schönen Frau wagen sie Dinge, die sie sonst niemals täten, Stuss und Kokolores reden beispielsweise. Dies erklärt die schillernden Sprechblasen, die derzeit im deutschen Sprachraum empor perlen und ein rapide sich vergrößerndes Ozonloch über dem Reichstag verursachen.

»Deutschland braucht eine Agenda 2020!« spricht der aktuelle Bundespräsident und schmeichelt sich mit dieser Schnapsidee in die Herzen seiner Hartz IV-Wähler ein. Er muss es wissen; denn er ist ja so was Ähnliches wie der Kaiser, den wir mal hatten. Altpräsident Herzog, der Ruck-Redner, warnt eindringlich vor der DRR, der Deutschen Rentner-Republik, und kontert die törichte Sehnsucht der Deutschen nach Sozialstaat und Mindestlohn mit einer Erkenntnis von edler Einfalt und stiller Größe: »Es gibt auch ein Grundrecht auf Dummheit.«

Dieses Grundrecht sei ihm von Herzen gegönnt, auch Aufschwungminister Michel Glos, Wahlspeckminister Olaf Scholz, dem Wirtschafts-»Weisen« Bert Rürup und ihrem Arbeitgeberpräsidenten Dieter Hundt, den vier größten Versprechern deutscher Zunge, die trotz einer Arbeitsplatzlücke von 5,5 Millionen (registrierte Erwerbslosigkeit plus stille Reserve) die Kantinenparole verbreiten, die Vollbeschäftigung stünde vor der Tür und begehre Einlass beim Exportweltmeister.

Im Unterschied zu diesen Großen Propheten weist VW-Aufsichtsratschef Piëch allen Hartzis, die mit ihrem Geld nicht auskommen, wenigstens den Weg vom ALG-Zwo-Empfänger zum Millionär und bannt zugleich die Gefahr der Altersarmut. »Warum«, sprach er als Zeuge beim VW-Prozess, »sind reiche Leute reich? Weil sie weniger ausgeben als einnehmen!«

#ndbleibt – Aktiv werden und Aktionspaket bestellen
Egal ob Kneipen, Cafés, Festivals oder andere Versammlungsorte – wir wollen sichtbarer werden und alle erreichen, denen unabhängiger Journalismus mit Haltung wichtig ist. Wir haben ein Aktionspaket mit Stickern, Flyern, Plakaten und Buttons zusammengestellt, mit dem du losziehen kannst um selbst für deine Zeitung aktiv zu werden und sie zu unterstützen.
Zum Aktionspaket

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal