Höchste Alarmstufe auf dem Gipfel der Welt

Anfang Mai soll das olympische Feuer auf den Mt. Everest gebracht werden – ein umstrittenes Projekt

  • Tom Strohschneider
  • Lesedauer: 3 Min.
China hat für den olympischen Fackellauf weite Gebiete am Mt. Everest sperren lassen – aus Angst vor Protesten. Andere Gipfelstürmer fürchten nun um die Chance ihres Lebens.
Himalaya-Panorama mit dem Mt. Everest.
Himalaya-Panorama mit dem Mt. Everest.

»Schießbefehl im Basislager« – die Nachrichten, die dieser Tage vom Fuße des Mt. Everest kommen, verheißen nichts Gutes. Ob man sie glauben kann, ist eine andere Frage. Die nepalesische Armee hat mindestens 25 Soldaten und Polizisten zum Fuße der Aufstiegsroute auf der südlichen Seite des höchsten Berges der Erde kommandiert. Sie sollen pro-tibetische Proteste gegen den olympischen Fackellauf verhindern.

Wahrscheinlich Anfang Mai wird eine chinesische Expedition mit der Fackel vom Norden her den Gipfel in Angriff nehmen. Kurz nach dem Start der olympischen Fackel war Ende März ein Teil der Flamme abgezweigt und ins nördliche Basislager des Mt. Everest gebracht worden. 12 der 36 Teilnehmern sollen die Fackel auf den Gipfel bringen. Nach dem Gipfelsturm soll das Feuer Ende Juni in Lhasa wieder mit der Hauptfackel vereint werden.

Das Vorhaben und seine Nebenwirkungen versetzten die Höhenbergsteiger in Aufregung. China hatte bereits die nördliche Aufstiegsroute in Tibet gesperrt. Nun ist auch die südliche Seite dicht – jedenfalls bis zum Lager II auf etwa 6500 Metern Höhe. Das Tal des Schweigens wird seinem Namen derzeit Frühjahr besonders gerecht. Wo sich sonst immer mehr Kunden kommerzieller Expeditionen sowie Träger und Bergführer den Sagarmatha hinaufkämpfen, wie der Everest in Nepal heißt, sind jetzt alle Touren bis 10. Mai verschoben – auf Druck Chinas.

Während die offiziellen Stellen von Sicherheitsproblemen sprechen, die durch »starke Kletteraktivitäten, überfüllte Aufstiegsrouten und zunehmende Umweltprobleme« verursacht seien, gibt es in Bergsteigerkreisen Kritik an Peking. Ein Fachjournalist berichtet, dass auf nepalesischer Seite bereits Zelte durchsucht und Kommunikationstechnik beschlagnahmt worden seien. Obwohl die Route der Chinesen weit ab von der nepalesischen Seite liegt, hätten Soldaten Fotoapparate und Computer eingezogen. Ein italienisches Team unter hingegen berichtete, es habe keinerlei Einschränkungen beim Equipment gegeben.

Aus chinesischer Sicht darf bei dem Gipfelsturm nichts schief gehen. Der Fackellauf, schon jetzt eine Image-Pleite, soll nicht auch noch von einem gescheiterten Besteigungsversuch überschattet werden. »Genossen, ihr habt eine harte Aufgabe«, stimmte der Vizegouverneur der autonomen Provinz Tibet die Expedition vor einigen Wochen im Basislager ein. »Die Dalai-Lama-Seperatisten-Clique ist dabei, die Sabotage des Fackellaufs in Tibet und auf den Everest zu planen.« Ein Sprecher des Dalai Lama nannte es dagegen »provokativ und sehr beleidigend für das tibetische Volk«, dass nach den Auseinandersetzungen der vergangenen Wochen die Fackel durch Tibet getragen werde.

Die Tibet-Frage ist nur eine Seite der Medaille. Die größte Sorge gilt den schwindenden Gipfelchancen der etwa 50 Gruppen und Individualisten, die sich für dieses Frühjahr am Everest angemeldet haben. Wer zwischen 30 000 und 70 000 US-Dollar berappen kann, hat Chancen, in einer kommerziellen Expedition dabei zu sein. Zum Massenandrang hat Peking selbst beigetragen – mit deutlich niedrigeren Gebühren als auf in Nepal wollte China vom Boom des Höhenbergsteigens profitieren. Für dieses Jahr indessen erhöhte man die Gebühren wieder, um den Ansturm auf den Berg zu begrenzen.

Günstige Wetterbedingungen sind in den ersten beiden Mai-Wochen am wahrscheinlichsten. Da sich der Aufstieg lange hinzieht, gehen Szene-Magazine inzwischen davon aus, dass der Everest in diesem Frühjahr praktisch nicht zu bezwingen ist. Denn erst wenn die Chinesen oben waren, wird der Weg für andere Expeditionen frei. Doch über den genauen Zeitplan ist so gut wie nichts bekannt.

Ob es tatsächlich möglich wäre, den chinesischen Fackellauf auf dem höchsten Punkt der Erde durch pro-tibetische Proteste zu stören, weiß niemand. Die Routen treffen im Prinzip erst auf dem Gipfel zusammen; in dieser Höhe lässt sich nicht so ohne weiteres ein Transparent ausrollen. Bergsteiger-Legende Reinhold Messner schimpft denn auch: »Warum müssen sie die olympische Fackel hinauftragen? Die Flamme wird da oben sowieso nur mit Tricks brennen, denn es gibt zu wenig Sauerstoff und zu viel Wind.«

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