Schwerin sucht ein neues Stadtoberhaupt

OB Claussen (CDU) bei Bürgerentscheid klar abgesetzt / LINKE stellt Finanzexpertin Gramkow auf

  • Velten Schäfer, Schwerin
  • Lesedauer: 3 Min.
Nach der überraschenden Absetzung des Schweriner Oberbürgermeisters Norbert Claussen (CDU) durch einen Bürgerentscheid stehen die Chancen der LINKEN auf ihren bundesweit ersten OB-Sessel nicht schlecht.
Angelika Gramkow, aussichtsreiche OB-Kandidatin ND-
Angelika Gramkow, aussichtsreiche OB-Kandidatin ND-

Wo viele nur einen Sturm im Wasserglas erwartet hatten, hat sich am Ende ein kleines Erdbeben ereignet. Am Sonntagabend gegen 21 Uhr stand fest: Schwerins Oberbürgermeister Norbert Claussen (CDU) muss vorzeitig seinen Hut nehmen. Erstmals in der Geschichte Mecklenburg-Vorpommerns hatte sich mit Claussen ein direkt gewähltes Stadtoberhaupt einem Abwahl-Bürgerentscheid stellen müssen, und prompt entschied das Scherbengericht der Landeshauptstädter gegen den 50-Jährigen.

Mit 44 Prozent lag die Wahlbeteiligung dabei weit über dem, was im Nordosten bei kommunalen Wahlgängen üblich ist – und über 80 Prozent der abgegebenen Stimmen fielen gegen den Bürgermeister aus. Gut 29 000 Schwerinerinnen und Schweriner wollten nicht weiter von Claussen regiert werden, gewählt worden war der CDU-Politiker 2002 mit etwas über 20 000 Stimmen. Claussen selbst sprach noch am Wahlabend von einem klaren Ergebnis, dass »zu akzeptieren« sei. Gleichzeitig klagte er über einen »Wahlkampf weit unterhalb der Gürtellinie«.

Nun steht der Landeshauptstadt ein heißer Frühsommer bevor. Innerhalb von vier Monaten muss ein Nachfolger gefunden werden, nächsten Montag wollen die Stadtvertreter einen Wahltermin beschließen. Vermutlich wird noch vor der Sommerpause gewählt; dafür sprach sich gestern LINKE-Kreischef Peter Brill aus. Die »hohe Wahlbeteiligung« sei ein gutes Zeichen für die Demokratie, die Bürger würden nun zügige Neuwahlen erwarten. Auch ein Sprecher der Schweriner CDU ließ Sympathien für schnelle Neuwahlen erkennen. Bis dahin führt Baudezernent und Vize-OB Wolfram Friedersdorff (LINKE) die Geschäfte kommissarisch. Trotz des nun anstehenden Wahlkampfs gebe es wichtige Sacharbeit, sagte Friederdorff gestern: »Wir müssen vor allem den Haushalt wieder in den Griff bekommen.«

Gestern Abend wollten sich die Schweriner Kreisparteivorstände aller Couleur treffen, um die unerwartete neue Lage zu besprechen. Bei der LINKEN, die in Schwerin zweitstärkste Kraft ist, scheint die Kandidatenfrage bereits geklärt: Kreischef Brill wollte als einzige Kandidatin die Landtagsabgeordnete Angelika Gramkow vorschlagen. Als Vorsitzende des Landtags-Finanzausschusses und langjährige Schweriner Stadtvertreterin bringe die 49-jährige Politikerin beste Voraussetzungen mit, die Landeshauptstadt erfolgreich in die Zukunft zu führen: »Schwerin braucht ein Stadtoberhaupt mit landespolitischer Erfahrung«, so Brill. Gramkow selbst sagte: »Ich will gewinnen.«

Die Absetzung des Oberbürgermeisters, der sich 2002 in einer Stichwahl mit 60 zu 40 Prozent gegen den LINKE-Kandidaten Gerd Böttger durchgesetzt hatte, könnte die politische Landschaft am Schweriner See nachhaltig verändern. Der jetzt so heftig gescholtene Claussen war seinerzeit von SPD, Grünen und Unabhängigen gegen den PDS-Fraktionschef unterstützt worden – was bei einer durchaus möglichen Stichwahl zwischen Gramkow und einem CDU-Kandidaten nach jetzigem Stand der Emotionen sehr fraglich scheint. Zwischen Schweriner Grünen und der Landeshauptstadt-CDU ist nach den harten Polemiken rund um den »Fall Lea-Sophie« ein Zusammengehen unwahrscheinlich. Die SPD fordert weiterhin die Absetzung des CDU-Dezernenten Hermann Junghans, der als Sozialdezernent für den Tod des Mädchens technisch zuständig war. Die CDU hatte dessen Abberufung öffentlich mitgetragen, aber dann in geheimer Abstimmung offenbar platzen lassen. Zudem kritisierte die SPD auch die Privatisierungspolitik des ehemaligen Oberbürgermeisters – es scheint nicht nur um dessen Person und sein unglückliches Agieren im Zusammenhang mit dem Hungertod des Mädchens zu gehen.

Die Schweriner Stadtpolitik, auch das haben die letzten Monate gezeigt, ist nicht so leicht auszurechnen. Doch stehen die Chancen der LINKEN auf das Oberbürgermeisteramt in Schwerin nach derzeitiger Lage wohl nicht schlecht. Es wäre der erste OB-Posten für die Partei überhaupt.

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