Erbsenreisig für Erwin

Rainer Stankiewitz wendet sich Bedrängten zu

  • Peter Menke
  • Lesedauer: 3 Min.

Der Autor, einst Drucker, Gründer des Wieden Verlags, schloss diesem die Buchbinderei seiner Frau an und kämpft sich seitdem durch die literarische Landschaft. In diesem Band, seiner siebten Edition, erzählt er Geschichten aus Mecklenburg und Vorpommern, über sieben von der Zeit betroffene Menschen. Und über ein Schwalbenpärchen: Der Erzähler, der uns sonst mit harten Tatsachen hintersinnig konfrontiert, zeigt hier, dass er auch zarte Töne zum Schwingen bringen kann.

In »Hans Punsch«, der ersten Geschichte, geht es um einen Fall, der einen Mann schließlich vor den Kadi führt. Punsch, der den Verhältnissen, die sich nach der Wende für ihn ungünstig wenden, offenbar nicht zugeneigt ist, sagt eines Tages dem Pastor im Dorf, er habe ein Hühnchen zu rupfen mit dem lieben Gott. Und tatsächlich lädt er Gott zu sich in die Küche, bittet, auf einem alten Ledersessel Platz zu nehmen, um mit ihm die Lage im wiedervereinigten Deutschland zu erörtern. Zwar sagt die alte Frau Peters, Punsch sei verrückt, doch Paragraf 51 könnte vor Gericht weder beantragt noch zugestanden werden ... Wer wagt es schon, Leute zu beschreiben, die sich zu sehr schämen Sozialhilfe anzunehmen? Sie verweigern sich den gesellschaftlichen Einrichtungen, steigen aus, vergraben – wie Erwin in »Erbsenreisig« – ihren Personalausweis und ziehen sich in sich selbst zurück, um arm, aber ehrlich weiterzuleben. Erwin kann sich nicht einmal mehr eine Angelkarte kaufen, und ohne diese zu fischen ist wider seine Lebensart. Das Rentenalter hat er noch nicht, aber ein Gartenhäuschen, einige Bäume und Beete und etwas Geld, für das man geradeso ein altes Auto kaufen könnte. Erwin braucht kein Auto. Er wird durchkommen die paar Jahre bis zur Rente. Was ihm jetzt fehlt ist Erbsenreisig. Er sucht es im Wald und dabei hat er noch Mitleid »mit all jenen raffgierigen Gesellen, die das Geld häuften zu einem Berg von Armut«.

Es ist Verdienst von Stankiewitz, sich den Bedrängten zuzuwenden und seine Themen bei ihnen zu finden. Er ist da nicht allein in der Literaturgeschichte. Möglicherweise sind »Die vorpommerschen Flamingopinguine« nur ein Beispiel. Eventuell. Aber ein Schulbeispiel, denn vielleicht steht eine seiner Geschichten später in den Schulbüchern für den Literaturunterricht. Es ist alles möglich.

»Das Lachen des Reiner K.« erzählt von einem, der sein soziales Problem auf besonders pfiffige Weise löst. Dies erheiterte die Zuhörer bei öffentlicher Lesung sehr und bewog die Jury zu einem Literaturpreis, dem zweiten, den der Autor einheimste. Doch ein Staatsanwalt fand, er sei bezichtigt worden, schwarz arbeiten zu lassen, ging zu Gericht, ließ »Das Lachen ...« verbieten und den Verfasser bestrafen. Drum musste die Geschichte für dieses Buch neu erzählt werden, jetzt ohne Staatsanwalt, damit dem Urheber nichts passiert. Wie man sieht, können Erzählungen sogar heute noch sehr gefährlich werden. In der Titelgeschichte »Die vorpommerschen Flamingopinguine und die Freiheit der Kunst« berichtet Stankiewitz lachend von dem Verfahren gegen ihn. Und der Leser erfährt nun endlich, wieso diese exotischen Vögel in Mecklenburg leben.

Rainer Stankiewitz: Die vorpommerschen Flamingopinguine. Wieden Verlag Crivitz. 189 S., geb., 13,50 EUR.

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