Götter auf dem Kiesberg

  • Roberto Becker
  • Lesedauer: 2 Min.
Als Hommage an den Künstler bietet das Thalia Theater Halle »Orpheus«.
Als Hommage an den Künstler bietet das Thalia Theater Halle »Orpheus«.

In Halle wird im Moment vor allem der Maler Einar Schleef gefeiert. Dass die Chefin des Thalia Theaters, Annegret Hahn, auf die Idee gekommen ist, sozusagen als Zugabe zur Ausstellung einen Orpheus von heute auf eine Unterweltexkursion zu schicken, wundert wohl niemanden. Nicht wie sonst »von«, sondern »nach« Jacques Offenbach versteht sich. Eine Fassung von Barbara Rucha (Musik) und Berit Schuck (Text) in der Regie von Mira Ebert. Angst vor großen Namen hatte man beim Halleschen Kinder- und Jungendtheater allerdings noch nie. Und zum Markenzeichen dieser innovativsten Theatertruppe der Saalestadt gehört es ohnehin seit langem, immer neue Orte aus dem realen Lebensumfeld ihres Publikums zu erschließen. Vor fünf Jahren wagte sich dieses Kinder- und Jugendtheater sogar schon mal an Schleefs »Totentrompeten«.

Nun gibt es also eine selbstgebastelte, geschrumpfte, adaptierte, immerhin noch erkennbare Version des Offenbach-Hits als Hommage an Schleef. Das ist als Idee und im Kontext einer lebendigen Aneignung im Vorfeld so gut gemeint, wie es in der Umsetzung natürlich heikel ist. Zumal, wenn man die Methode Schleef auf den Chor-Nenner bringt und das dann vor allem mit Laien durchexerziert.

An den Schleefschen Wortexerzitien scheiterten mitunter ja sogar die von ihm selbst gedrillten Profis. Es beginnt mit Orpheus und Eurydike jeweils fünfzehnfach. An Tischen. Gescheiterte Karriere- und Beziehungsträumen in der Tristesse der »Platte«. Der Olymp dann ist ein aufgeschütteter Kiesberg zwischen den kahlen Betonwänden der leergeräumten Technikabteilung. Für die Unterwelt der – natürlich rappenden – Pluto Jungs brauchte die sich nicht zu »verkleiden«. Und als dann Harald Höbinger als Hans Styx sowohl vom berühmten, einstigen Arkadien sang, als auch von der Geschichte des Kaufhauses sprach, da trafen sich diese Art Theater und die Wirklichkeit auf eine melancholische Weise. So wie sie als pure musikalische Lust in einem eskalierenden vokalen Sturm aufbrach, wenn die Revolte auf dem Olymp zwar mit dem Offenbachschen Hahaha beginnt, sich dann aber auch zur Freude schöner Götterfunke aufschwingt, um sich schließlich mit dem Olé der Fußballstadien zum Prosit der Gemütlichkeit zwischen allen Stühlen der Gegenwart wieder niederzulassen. Das hatte was. Da waren die begeisterten Akteure aus einem Dutzend hallescher Chöre in ihrem Element. Eines zeigte der Abend in seiner anrührenden Unvollkommenheit immerhin – und sei es nur als eine aufsteigende Erinnerung: Schleef war ein Theater-Urereignis.

Nächste Vorstellung: 4. Mai

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