Grüner Dammbruch in Hamburg

Nachgelagerte Studiengebühren beschleunigen den marktradikalen Umbau des Hochschulsystems

  • Klemens Himpele
  • Lesedauer: 5 Min.

Die Frage, ob es in Deutschland flächendeckend Studiengebühren geben wird, ist derzeit offen. Das scheint gegenüber den Jahren nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das im Januar 2005 ein bundesweites Studiengebührenverbot aus kompetenzrechtlichen Gründen gekippt hatte, ein Fortschritt zu sein. Und in der Tat könnte die Campusmaut in Hessen auch bald mit den Stimmen aus SPD, Grünen und Linkspartei wieder abgeschafft werden. Gleichzeitig ereignet sich in Hamburg jedoch ein Dammbruch an der Gebührenfront, der in seinem ganzen Ausmaß noch nicht erfassbar ist: Die Grünen treten in eine studiengebührentragende Landesregierung ein!

Primat der Ökonomie
Man kann nun einwenden: Es sind ja »nur« 375 Euro, und auch »nur« nachgelagert – und das sei schließlich besser als jene 500 Euro, die derzeit an der Elbe zu löhnen sind. Was auf den ersten Blick richtig klingt, hat jedoch einen entscheidenden Schönheitsfehler: Die Grünen sind bereit, Studiengebühren ab dem ersten Semester zu verlangen. Bisher haben SPD und Grüne sich lediglich mit Gebühren für einzelne Gruppen – Seniorenstudierende, Zweitstudiumsstudierende und sogenannte Langzeitstudierende« – dem Zeitgeist angepasst und prompt auch die Wahlen in Nordrhein-Westfalen (NRW) verloren. Jetzt aber erproben die Grünen mit ihren neuen Freunden von der CDU ein »neues« Gebührenmodell und opfern somit nachhaltig auch ihr Verständnis von »sozialer Gerechtigkeit« dem Primat der Ökonomie.

Das angewandte Modell stammt dabei aus Australien und firmiert dort als »Higher Education Contribution Scheme«, kurz HECS. Dieses wurde bereits 1989 durch eine Labour-Regierung eingeführt und seitdem immer wieder zu Ungunsten der Studierenden angepasst. Erklärtes Ziel war es zunächst, die zusätzlichen Einnahmen zur Erweiterung bestehender Hochschulen zu verwenden, um mehr Studienplätze zu schaffen. Dabei sollte das Modell »sozialverträglich« sein, indem die Gebühren erst nach dem Studium fällig sind. In Australien wird seitdem ein Teil der Studienplätze als HECS-Plätze zur Verfügung gestellt, und wer einen solchen Studienplatz hat, kann die Studiengebühren entweder direkt mit einem Abschlag von 20 Prozent bezahlen (upfront payers) oder diese als Steueraufschlag nach dem Studium abgelten. Sobald die betreffende Person die Einkommensgrenze von 30 000 australischen Dollar (entspricht rund 18 000 Euro) jährlich überschreitet, müssen vier Prozent des Einkommens als Steuern an das Australien Taxation Office abgeführt werden, ab 60 000 australischen Dollar sogar acht Prozent.

Der Blick nach Australien verrät also, wo Grüne und CDU abgeschrieben haben. Wird jedoch die weitere Entwicklung in Australien betrachtet, dann wird klar, was Hamburg blühen kann. Zum einen sind die Studiengebühren in Australien immer wieder angehoben worden. Begonnen wurde mit 2400 australischen Dollar, heute sind bis zu 8499 Dollar pro Jahr fällig. Auch die Einkommensgrenze, ab der zurückzuzahlen ist, wurde mehrfach angepasst.

Interessant ist jedoch auch eine weitere Entwicklung: Zahlten zunächst alle Studierenden die gleiche Gebühr, so werden die Kosten seit 2004 je nach Studiengang in vier Gruppen aufgeteilt. Die Studiengebühr richtet sich dabei nicht nach den Kosten des Studiums, sondern nach dem potenziellen späteren Einkommen. Die höchsten Gebühren fallen daher in Wirtschafts- und Rechtswissenschaften sowie Medizin an (8499 australische Doller, etwa 5100 Euro), gefolgt von den Naturwissenschaften (7260 Dollar) und den Geistes- und Sozialwissenschaften (5095 Dollar). Schließlich folgen als vierte Gruppe die »national priorities« (4077 Dollar) – derzeit sind damit vor allem Studiengänge in den Erziehungswissenschaften gemeint.

Kosten-Nutzen-Rechnung
Diese Aufspaltung offenbart des Pudels eigentlichen Kern, der nun auch in Hamburg Grundlage der Bildungspolitik zu sein scheint: Das Studium wird als eine ökonomische Investition in das eigene Humankapital verstanden, deren »return on investment« das spätere zu erwartende Einkommen ist. Demnach muss schon die Studienplatzwahl unter einem Investitionskalkül – und nicht etwa nach persönlichen Interessen und Neigungen – erfolgen. Die Rechnung, die von Studierwilligen gelöst werden muss, lautet: Werde ich später so viel mehr mit dem Studium verdienen, dass der Nichtverdienst während des Studiums (Opportunitätskosten) und die Studiengebühren überkompensiert werden? Australien ist hier insofern konsequent, als dass die Verwertungsmöglichkeiten der einzelnen Studiengänge bereits in den Preis des Studiums eingerechnet werden.

Studiengebühren sollen, so die Begründung ihrer Befürworter, dazu genutzt werden, die Finanzsituation der Hochschulen zu verbessern. Doch auch hier lohnt ein Blick nach »down under«: Die Gewerkschaft der Hochschullehrer (NTEU) hat es in einer Studie zur Finanzsituation der Hochschulen in Australien auf den Punkt gebracht: »Students pay more, universities get less, the government pockets the difference.« Und die Sozialverträglichkeit? Eine Hochrechnung des australischen Bildungsforschers N. O. Jackson kommt zu dem Schluss, dass bei einer angenommenen Verschuldung von 20 000 australischen Dollar Männer im Durchschnitt 17 Jahre, Frauen hingegen 51 Jahre lang ihre HECS-Schulden zurückzahlen müssen.

Mit dem Hamburger Gebührenmodell von Schwarz-Grün wird also ein weiterer Schritt weg vom gebührenfreien Studium gemacht. Da hilft es auch nicht, wenn man sein Gewissen mit den vergleichsweise geringen Gebühren und der vergleichsweise hohen Einkommensgrenze, ab der zurückbezahlt werden muss, beruhigt. In der Tat: 375 Euro Gebühren pro Semester und eine Rückzahlung ab einem jährlichen Bruttoverdienst von 30 000 Euro sind besser als 500 Euro jedes Semester. Die Grünen in Hamburg lügen sich aber insofern etwas vor, als dass de facto international kein Gebührenmodell bekannt ist, bei dem nach Einführung nicht an den Schrauben der Einkommensgrenzen und Gebührenhöhe gedreht wurde. Ihren Anspruch, Antigebührenpartei zu sein, haben sie damit aufgegeben.

Der Autor ist Diplomvolkswirt. Er ist Mitglied im erweiterten Bundesvorstand des Bund demokratischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler (BdWi) und war Geschäftsführer des Aktionsbündnisses gegen Studiengebühren.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal