Türkische Polizei verhindert Maidemo

Gewerkschaften verzichten nach Einsatz von Knüppeln und Gasbomben auf Protestzug

  • Jan Keetman, Istanbul
  • Lesedauer: 2 Min.
Durch einen Großeinsatz der Polizei wurde die von den drei türkischen Gewerkschaftsdachverbänden DISK, Türk Is und Kesk geplante Kundgebung zum 1. Mai in Istanbul gewaltsam verhindert.

Die Gewerkschaften wollten es sich dieses Jahr nicht nehmen lassen, ihre Kundgebung zum 1. Mai am zentralen Istanbuler Taksim-Platz und nicht irgendwo abseits zu veranstalten. Premierminister Recep Tayyip Erdogan und der Gouverneur von Istanbul, Muammer Güler, traten dem Anliegen in den letzten Tagen mit Hinweis auf ein Verkehrschaos und angebliche Geheimdienstberichte über geplante Provokationen entgegen. Güler führte eine regelrechte Einschüchterungskampagne gegen die Gewerkschaften.

Der erste Polizeieinsatz gegen sich sammelnde Demonstranten begann bereits kurz nach 6 Uhr morgens, als sich erste Demonstranten vor dem Hauptsitz des DISK im Istanbuler Bezirk Sisli trafen. Die Tür des Gebäudes wurde aufgebrochen, Gasbomben wurden ins Innere geworfen.

Von da an wurden Demonstrantengruppen in der Umgebung mit Wasserwerfern, Knüppeln und Gasbomben auseinander gejagt oder festgenommen. Eine Gasbombe fiel in ein benachbartes Krankenhaus. An einer Bushaltestelle fielen zwei Passanten nach einem Gaseinsatz in Ohnmacht. Die Gasschwaden waren so dicht, dass sie trotz geschlossener Fenster in die Häuser eindrangen und die Bewohner zum fluchtartigen Verlassen ihrer Wohnungen zwangen.

Zwei Kameramännern der Agenturen Anadolu und Reuters wurden von der Polizei die Kameras beschädigt. Einige in Seitenstraßen geflüchtete Demonstranten warfen mit Steinen nach der Polizei. Diese gab an, 17 Molotowcocktails gefunden zu haben. Dem Augenschein nach waren aber die von Demonstranten angerichteten Schäden äußerst gering.

Gegen 11 Uhr erklärten die Gewerkschaften ihren Verzicht auf den Marsch zum Taksim. Auch auf das Angebot des Ministers für Arbeit und soziale Sicherheit, Faruk Celik, eine Abordnung der Gewerkschaften dürfe an einem Atatürkdenkmal am Taksim einen Kranz niederlegen, verzichteten die Gewerkschaften. Der Vorsitzende von DISK, Süleyman Celebi, erklärte dazu, man wolle den »Provokationen der Regierung« keinen Vorschub leisten.

Der Abgeordnete der oppositionellen Republikanischen Volkspartei Ali Özpolat, kritisierte insbesondere das Eindringen der Polizei in das Gewerkschaftsgebäude und den dortigen Einsatz von Tränengas, bei dem er selbst zugegen war. »Den Menschen wurde der Atem abgeschnitten, so kann man mit Menschen nicht umgehen.« Vom Tränengas in Mitleidenschaft gezogen wurde auch der Bürgermeister von Sisli, Mustafa Sarigül. Er rettete sich vor dem Polizeieinsatz durch Flucht in seinen Amtssitz.

Um für den Großeinsatz genügend Kräfte zu haben, wurden verschiedene Tätigkeiten der Polizei unterbrochen. Selbst am Istanbuler Flughafen kam es zu Verzögerungen, weil Beamte zum Stempeln der Pässe fehlten. Die Istanbuler U-Bahn wurde geschlossen. Verschiedene Fähr- und Busverbindungen gab es nicht, um Demonstranten daran zu hindern, sich so dem Taksim zu nähern.

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