Rote Karte für Wowereit und Sarrazin

10 000 Teilnehmer bei 1. Mai-Demonstration des DGB / Harsche Gewerkschaftskritik am rot-roten Senat

  • Martin Kröger
  • Lesedauer: 2 Min.

Die Organisierung der Gewerkschaften in Berlin ist beeindruckend – jedenfalls finden dies die Genossen der spanischen Gewerkschaft »federación de servios y administraciones públicas«. »Punkt zehn Uhr zog die Demonstration los«, staunte Generalsekretär Miguel Vicente Seggara Ortiz von der spanischen Schwestergewerkschaft von ver.di gestern nicht schlecht. In Spanien würde dagegen niemand vor zwölf Uhr zur Mai-Kundgebung kommen.

Die Probleme, mit denen die Gewerkschaften im Süden Europas zu kämpfen haben, ähneln indes denen Berlins. »Die Privatisierung ist ein Problem in ganz Europa«, sagt Ortiz, bevor er eine Solidaritätsadresse an die deutschen Kollegen verfasst, die dann auf der Bühne der Abschlusskundgebung des DGB vor dem Brandenburger Tor verlesen wird.

Dort haben sich nach der Demonstration einige Tausend Teilnehmer versammelt. Antiprivatisierungspolitik ist sichtbar einer der politischen Schwerpunkte der diesjährigen 1. Mai-Veranstaltung: Auf Transparenten wird eine Rekommunalisierung der Betriebe der öffentlichen Daseinsvorsorge gefordert. Viele Schilder wenden sich gegen die Teilprivatisierung der Deutschen Bahn (DB).

Für den Deutsch-Türken Ali Aydin ist das Thema Mindestlohn momentan allerdings wichtiger. Als Zeitarbeiter arbeitet er als Kraftfahrer. »Viele Betriebe kündigen ihre Festangestellten, um die Stellen dann mit billigen Leiharbeitern zu besetzen«, weiß der Migrant aus eigener Erfahrung. »Die Leiharbeit ist zur Zeit das schlimmste, was es gibt.« Eine Entwicklung der Arbeitswelt, die auch die Landesbezirksleiterin von ver.di, Susanne Stumpenhusen, in ihrer Rede anprangert. »In Deutschland gibt es 731 000 Leiharbeiter«, zählt Stumpenhusen vor. Und: »Berlin ist die Hauptstadt der prekären Beschäftigung.« Neben Topmanagern, Unternehmern und Steuerbetrügern macht die Gewerkschaftsfunktionärin jedoch auch den rot-roten Senat für die »Ausbeutung auf hohem Niveau« und die niedrigen Durchschnittseinkommen verantwortlich.

Insbesondere die Tarifverhandlungen für die Beschäftigten des Öffentlichen Dienstes und der BVG kritisiert Stumpenhusen. Der Senat betreibe Tarifflucht, wenn die Abschlüsse auf Bundesebene nicht auch für die Beschäftigten des Berliner Öffentlichen Dienstes gelten würden. Eine Meinung, die offenbar viele Demonstranten teilen: Sie halten nämlich rote Karte mit der Aufschrift »Rote Karte für Wowereit und Sarrazin!« hoch. Die Kritik beziehen manche jedoch nur auf die SPD. »Ich hoffe, dass die Linke als Gewissen der kleinen Leute die anderen Parteien weiter vor sich hertreibt«, sagt der Rentner Klaus Ulbricht, der seit 40 Jahren immer beim 1. Mai dabei war.

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