»Es hat mich ja keiner gefragt«

Amelie Fried auf den Spuren ihrer Familie

  • Irmtraud Gutschke
  • Lesedauer: 4 Min.

Der Reiz liegt im Authentischen des Geschehens und seiner Erkundung. Sicher auch in der Popularität der Autorin, die durch einen Zufall entdeckte, dass sie jüdische Vorfahren hat. Sie hatte nicht gewusst, dass ihr Großvater Franz, den sie ja noch kennenlernte, Jude war, nicht geahnt, was das für ihren Vater bedeutet hatte. Eine eigenartige Stimmung zwischen beiden hatte sie registriert, etwas Abweisendes. Dass sie es sich auch zum Schluss nicht in allen Facetten erklären kann, gehört zur Wahrhaftigkeit des Buches.

Sechsundvierzig musste Amelie Fried werden, ehe sie erfuhr, dass unter den in Auschwitz Getöteten auch eigene Verwandte waren. Anlass, sich in Archiven auf ihre Spuren zu begeben. Die Dokumente, die sie fand, sind in den Text eingefügt, der die Fakten beschreibt und ihre Gefühle. Was allgemein bekannt ist, kommt der Autorin nun unmittelbar nahe. Auch, wie die Zeit drängt: »Bald gibt es für die Jahre zwischen 1933 und 1945 niemanden mehr, der uns erzählen könnte, wie es damals war. Ich wollte fragen, solange mir noch jemand Antwort geben konnte. Und ich möchte andere, die Fragen haben, ermutigen, sie zu stellen.«

Der pädagogische Impetus wird beabsichtigt sein. Man kann regelrecht vor sich sehen, wie Amelie Fried mit diesem Buch in Schulen auftritt – als bekannte Autorin und Fernsehmoderatorin ist ihr die Aufmerksamkeit sicher, um entgegen dem Spaßbedürfnis von Jugendlichen ein ernstes Thema zu diskutieren, das hier auch »sperrig« bleibt. Es ist keine Bilderbuchgeschichte, sondern eine, die viel Einfühlung in fremde Lebensvorstellungen verlangt. Es ist nicht so einfah, von heute aus zu verstehen, dass die Erhaltung des Geschäfts, des Schuhhauses Pallas in der Wertigkeit so weit oben stand, dass sich die Großeltern scheiden ließen, die arische Großmutter sich offiziell von ihrem Mann lossagte, obwohl sie doch hätte wissen müssen, dass sie ihn dadurch in Lebensgefahr brachte? Oder wusste sie es nicht?

»Wie meine Familie sich gegen die Nazis wehrte« – diesen glatten Untertitel hätte sich die Autorin nicht einreden lassen sollen. Ja, sie haben sich mit allen Mitteln dagegen gewehrt, dass ihr Geschäft als jüdisch gelten sollte, und nach den verrücktesten Auswegen gesucht. Es heißt, Amelie Frieds Vater habe seiner Mutter zur Scheidung geraten. Zufällen ist es zu verdanken, dass der Großvater am Leben blieb. Und nach dem Krieg ging er nach Ulm zurück, übernahm sein Schuhgeschäft wieder, lebte, als ob nichts gewesen wäre, bei seiner geschiedenen Frau. Die zog sich fortan zurück, ging kaum mehr aus dem Haus, während er den jovialen Geschäftsmann gab. Aber zu seinem Sohn konnte er nicht herzlich sein. Und Amelie Fried hat bei ihrem Vater die Liebe vermisst.

Was für eine Familientragödie sich da abgepielt hat, kann man nur ahnen. Amelie Fried will Eltern und Großeltern nicht zu nahe treten, deutet ihre Irritationen nur an. Und auch des Großvaters Schwester Anneliese kann sie nichts über ihre damaligen Gefühle entlocken. »Ich möcht nimmer über damals reden«, sagt sie. »Jetzt isch es zu spät.« »Aber, warum hast du denn nicht früher mal was erzählt?« »Es hat mich ja keiner gfragt.«

So handelt dieses Buch auch von (west-)deutscher Nachkriegsgeschichte, versucht begreiflich zu machen, wie es kam, dass die meisten Leute nur nach vorn schauen und an die Vergangenheit nicht rühren wollten. Auch Amelie Frieds Buch sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass dies nach wie vor das Übliche ist. Sehr schnell ist man in Ulm zur Tagesordnung übergegangen. Der Großvater hatte sein Schuhhaus wieder und nahm schon 1945 das Angebot an, Vorsitzender des Sportvereins TSG Ulm 1846 zu werden, obwohl er wusste,dass er als »Alibi-Jude« fungierte. Der Vater wird Kulturbeauftragter der Stadt, wo man ihn einst aus der Zeitung gejagt und mit Schreibverbot belegt hatte. Immer wieder erhielt er anonyme Briefe in denen er als »Saujude« beschmpft wurde.

Amelie Fried: Schuhhaus Pallas. Wie meine Familie sich gegen die Nazis wehrte. C. Hanser. 187 S., geb., 14,90 EUR.
Vollständige Lesung auf 4 CDs. Der Hörverlag. 19,95 EUR.

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