nd-aktuell.de / 08.05.2008 / Kultur / Seite 13

Staatlicher Mord

Einsatzgruppen in Polen

Gerd Kaiser

Dieses Buch über die deutsch-faschistischen Einsatzgruppen in Polen 1939 ist nicht die erste Veröffentlichung der Forschungsstelle Ludwigsburg der Universität Stuttgart über Verbrechen des »Großdeutschen Reiches«. Es dürfte und darf nicht das letzte sein. Nach wie vor ist vieles noch nicht oder nicht gründlich genug erforscht. Das hat seine Gründe. Wichtigste Ursache dürfte sein, dass sowohl Schreibtischtäter als auch die Mordbuben, die ihr blutiges Handwerk »rückwärts der fechtenden Truppe« ausübten, nach dem Zweiten Weltkrieg danach trachteten, sich jedweder Verantwortung zu entziehen und sich in einer beamteten oder artverwandten bürgerlichen Existenz in den Westzonen Deutschlands bzw. der Bundesrepublik zu etablieren. Dazu gehörte auch die große Bereitschaft der Gesellschaft zu Nachsicht ihnen gegenüber. Inzwischen hat sich dieser »Hinderungsgrund« biologisch fast erledigt.

Allein zwischen September 1939 und Frühjahr 1940 hatten die Mordkommandos 60 000 bis 80 000 Polen »liquidiert«. Deutsche Beamte von Polizei und Sicherheitsdienst (SD) sowie Wehrmachtssoldaten erschossen ihre Opfer ohne jedwedes gerichtliche Verfahren. Schreibtischtäter hatten bereits vor Kriegsbeginn Listen und Karteien angelegt, die Todesurteile für zehntausende Polen fixierten, vor allem aus den führenden Kreisen und gegen die polnischen Juden, aber auch gegenüber willkürlich ausgewählte Geiseln.

Bereits vor dem heimtückischen Überfall auf Polen hatten SD-Chef Reinhard Heydrich und sein Vertreter, Ministerialdirektor Dr. Werner Best, mit dem Chef der Abwehr des OKW, Admiral Wilhelm Canaris, sowie dem Staatssekretär im Reichsinnenministeriums Dr. Wilhelm Stuckart und Eduard Wagner, Stabschef des Generalquartiermeisters im OKH, »Richtlinien für den auswärtigen Einsatz der Sicherheitspolizei und des SD« abgesprochen und beschlossen. Die Koordination des sogenannten »Unternehmens Tannenberg« lief in der Prinz-Albrecht-Straße 8 in Berlin, beim Reichssicherheitshauptamt (RSHA) zusammen, wo auch die z. T. täglichen »Ereignismeldungen« über die Morde eingingen.

Die »Beseitigung der lebendigen Kräfte« – so umschrieben die uniformierten Mörder ihre Verbrechen – belegen größtenteils neu oder nunmehr vollständig erschlossene deutsche, polnische und amerikanische Quellen. Erstmals geben Biogramme aller für den Lauf der Mordmaschine verantwortlichen Einsatzgruppenleiter über deren politische Sozialisation und soziale Herkunft sowie ihre Karrieren Auskunft.

Klaus Michael Mallmann u. a.: Einsatzgruppen in Polen. Darstellung und Dokumentation. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt. 253 S., geb., 49,90 EUR.