Gereimte Ergüsse

Die Deutschen und Hitler – Fan-Post an den »Führer«

  • Manfred Weißbecker
  • Lesedauer: 4 Min.

Wie es scheint ein unerschöpfliches Thema – die Deutschen und Hitler. Viel ist dazu von Geschichtswissenschaftlern bereits klärend gesagt worden, wenn auch Fragen bleiben und neue noch auftauchen werden. Zu außergewöhnlich und beschämend, ja auch zu erbärmlich war das, was sich in Deutschland in der Zeit vom Ende des Ersten bis zu dem des Zweiten Weltkrieges abgespielt hat. Rationale Argumente führen da leider allein nicht zum Ziel, gleich ob sie von Historikern, Soziologen oder Psychologen stammen. So bleibt Raum für ein großes Interesse auch an Geschehnissen und Details, die von sekundärer oder noch viel geringerer Bedeutung gewesen sind.

Erfolg gilt daher jenen Historikern sicher, die solche Felder beackern und zudem den Weg in die Medien finden. Immerhin erfuhr der vor drei Jahren von Henrik Eberle gemeinsam mit Matthias Uhl veröffentlichte Band »Das Buch Hitler« – es enthält die in Moskauer Archiven gefundenen Aussagen von Hitlers Kammerdiener Heinz Linge und des Adjutanten Otto Günsche – bislang mehr als 30 Übersetzungen. Solche Aufmerksamkeit regte den Hallenser Historiker wohl an, nun auch andere Quellen aus dem Sonderarchiv des Russischen Verteidigungsministeriums zu publizieren. Nach Moskau gelangten 1945 auch Akten der Privatkanzlei Hitlers, der Reichskanzlei und der Präsidialkanzlei, die erst jetzt eingesehen werden konnten. Sie enthalten u. a. Tausende von Briefen, die an Hitler gerichtet waren. Die Entwicklung ihres Umfangs entspricht dem Verlauf von Hitlers Popularitätskurve: geringer vor 1933, dann rund 5000 im ersten und 12 000 im zweiten Jahr seines Regimes. Mehr als 10 000 waren es 1941, weniger als 100 im April 1945. Gemessen an dieser Post soll das Jahr 1938 der Höhepunkt in Hitlers Popularität gewesen sein.

Die Auswahl im Band ist überwiegend chronologisch gegliedert. Ein knappes Fünftel gilt den Briefen, in denen vor dem 30. Januar 1933 Verehrung, gepaart mit Ratschlägen und Wün-schen, geäußert wurden. Interessanter als die Briefe an Hitler dürften hier die Antworten sein. Sie spiegeln die Querelen mit den deutschvölkischen Gesinnungsgenossen wider, die zugleich konkurrierende Partner gewesen sind. Als Hitler vorgeschlagen wurde, Hauptaufgabe der Partei sei, eine »Besserstellung des Arbeiters« zu erreichen und »nach der wirtschaftlichen Seite hin radikalere Saiten« aufzuziehen, reagierte Heß mit den Worten: »Wir wünschten, es gäbe mehr Arbeit-geber, die Verständnis für unser Wollen haben …«

Huldigungen aller Art – zumeist in Form gereimter Ergüsse, naiv und berechnend, grotesk und lä-cherlich – sowie Bedenken und Proteste enthalten die Briefe aus den ersten Jahren des Regimes. Da häuften sich Gebete, Treueschwüre, Appelle, Bittbriefe und Hilferufe. Alles darf durchaus als Stim-mungsbarometer gelten. Ein eigenes Kapitel gilt den massenhaften Gratulationen zu den Geburtsta-gen Hitlers, bei denen sich indessen abzeichnete, dass weniger Angehörige des »Volkes«, sondern mehr die Institutionen in Erscheinung traten. Erkennbar wird der Versuch, die Begeisterung in Opferbereitschaft umzulenken. Das letzte Kapitel gilt dem Verfall der Popularität in Krisen und Krieg von 1938 bis 1945.

Zu nahezu allen Briefen finden sich kurze Erläuterungen – so weit möglich zu den Personen und ihrem jeweiligen Umfeld – und auch Kommentare. Letztere enthalten mitunter unzutreffende Aussagen. Beispielsweise wird und Wolfgang Abendroth als »extremer Linker« bezeichnet, was wohl eher politischer Absicht denn genauer Kenntnis entspricht. Politisches dominiert auch in den Bemerkungen zu einem Brief aus dem thüringischen Eichsfeld, in dem um die Ansiedlung von Industrie ge-beten wird. Dass diese später in der DDR erfolgte, wird erwähnt, doch mit der Bemerkung abgetan, es sei dabei um das Brechen der »traditionellen Vorherrschaft der katholisch gebundenen Familienclans« gegangen.

Natürlich ist es schwierig, den ausgewählten Dokumenten verallgemeinerungswürdige Thesen abzugewinnen. Dennoch bleibt der Eindruck, dass in dieser Hinsicht nicht genügend Anstrengungen unternommen worden sind. Nur in den seltensten Fällen haben Gegner Hitlers geschrieben, so dass im Grunde auch nur Aussagen zur politisch-psychologischen Verfasstheit eines Teils der Anhänger-schar möglich sind. Unkritisch neben die Schreiben jener Absender, die zumeist von schlichtem Gemüt und opportunistischer Untertänigkeit gewesen sind, erscheinen Briefe nazistischer »Hoheitsträ-ger«, Angehörigen des bildungsbürgerlichen Milieus oder von einzelnen Industriellen und Militärs. Deren wesentlich größere Bedeutung lässt sich jedoch nur erkennen, wenn auch andere Quellen berücksichtigt werden.

Das Ausmaß der »Fan«-Post war sicher enorm, doch über die Organisierung des vielgestaltigen Kultes um Hitler sagt das allein nichts aus. Da wäre gewiss mehr aus der Art und Weise der Antworten abzuleiten gewesen. Doch in dieser Hinsicht reichen Bemerkungen nicht aus, Hitler seien glühende Liebesbriefe unangenehm gewesen, er habe persönliche Widmungen abgelehnt und die Vermarktung seines Konterfeis nicht geduldet usw. usf.

Henrik Eberle (Hg.): Briefe an Hitler. Ein Volk schreibt seinem Führer. Unbekannte Dokumente aus Moskauer Archiven. Gustav Lübbe Verlag, München. 476 S., geb., 10,95 EUR.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal