Leuchtturm in der Lausitz

Eröffnung des Kunstmuseums Dieselkraftwerk in Cottbus

  • Astrid Volpert
  • Lesedauer: 6 Min.

Man schrieb das Jahr 1925, als in den »ABC-Beiträgen zum Bauen« zwei provokante Fragen und kurze Antworten darauf zu lesen waren: Der Schweizer Moderne-Architekt Hans Schmidt stellte der Schönheit der Maschinen, die »arbeiten, sich bewegen, funktionieren«, die Nicht-Schönheit unserer Häuser gegenüber, die angeblich »nichts tun, herumstehen, repräsentieren«. Der vermeintliche Widerspruch findet rund 80 Jahre später in Cottbus seine erfrischende Auflösung: Das Kunstmuseum Dieselkraftwerk Cottbus ist in ein restauriertes Baudenkmal des späten Backsteinexpressionismus umgezogen, wo es auf gut 2400 Quadratmetern Schauflächen wechselnde Einblicke in seine aus mehr als 22 000 Werken bestehende Sammlung sowie in Sonderausstellungen gibt und viele neue kreative Angebote für Kunstfreunde, vor allem Schüler und Studenten parat hat.

Die Schreiberin dieses Beitrags erinnert sich noch gut an die zahlreichen Hilferufe zur Rettung des Kunstmuseums, einer von drei Neugründungen in der DDR, das in den 1990er Jahren durch die beengten Räume in einem alten Kaufhaus in der Spremberger Fußgängerzone sowie durch drastische Kürzungen von Landesmitteln an den Rand der Existenz getrieben war. Doch die Museumsmacher gaben damals nicht klein bei, akquirierten einen Förderverein, und mit Johanna Wanka als Kulturministerin drehte sich der Wind im Land. Ähnlich wie beim Baudenkmal »ADGB-Bundesschule« in Bernau, dem zweitwichtigsten Projekt des Dessauer Bauhauses aus der Feder von Hannes Meyer und Hans Wittwer, das seit dem vergangenen Herbst wieder als Schulgebäude funktioniert, ist nun auch Werner Issels spätexpressionistischer Kraftwerksbau, der Jahrzehnte verschmutzt und ungenutzt brachlag, zu neuem Leben erweckt. Die vierjährige Rekonstruktion wurde möglich durch die 2004 begründete Brandenburgische Kulturstiftung Cottbus, in der Theater und Museum kooperativ im Doppelpack den Raum der Stadt und die Lausitzer Region zwischen Berlin und Dresden kreativ bespielen. Entstanden ist ein respektabler, verkehrsmäßig zudem günstig gelegener Ort für Gegenwartskunst. In nur fünf Minuten Fußweg vom Altmarkt oder nach drei Busstationen ab Bahnhof mit Berlin-Anschluss im Stundentakt ist man angelandet in einem neuen Leuchtturm der Künste.

Das Berliner Architektenbüro Anderhalben restaurierte sorgsam die kompakte äußere Hülle des aus zwei Häusern und einer Verbindungsmauer bestehenden Gebäudes und schuf zwischen Schalt- und Maschinenhaus in einer gläsernen Überdachung und Brücke einen funktionalen Eingangsbereich mit Foyer, Vortragsraum und Café. In das Maschinenhaus wurden Betonkuben gesetzt, die auf zwei Ebenen neutrale Räume für die Sammlungsstücke schaffen. Zur eleganten Glasverkleidung des Betons reichte das Geld trotz 8,1 verbauter Millionen nicht – einer der wenigen aus Sicht des Architekten offen gebliebenen Wünsche.

Knapp ein Zehntel der seit den 1970er Jahren erworbenen Kunststücke kann besichtigt werden. Und zum ersten Mal finden zwei wichtige identitätsstiftende Bereiche des Hausschatzes, nämlich Autorenfotografie und Künstlerisches Plakat, die schon zu DDR-Zeiten international gesammelt wurden, ihre adäquate öffentliche Präsenz. Der Gang durch diese kleineren, im Schalthaus gelegenen Räume zeigt von Helmut Brade und Manfred Butzmann über Jürgen Haufe, Volker Pfüller, Karl Domenic Geisbühler, Frieder Grindler bis zu den Japanern, Franzosen, Polen und Finnen Spitzenwerke einer ästhetisch-inhaltlich auf den Punkt, Zeichen und Typografie gebrachten vielseitigen Plakatkunst. Im aktuellen Ausschnitt aus der fotografischen Sammlung fällt der Blick besonders auf Werke, die Boris Saweljew (Moskau) Ende der 1980er Jahre in seiner ukrainischen Geburtsstadt Chernowitz aufnahm. Hier wie auch anderswo erweist sich, dass Zuwächse sich thematisch und motivisch ausgezeichnet früheren Erwerbungen zugesellen.

Der Königsgattung der bildenden Kunst, Malerei, sind neben einem schmalen hohen Raum im Schalthaus die unterschiedlich gestalteten Maschinenhauskuben vorbehalten. Nur die Skulptur wurde sowohl im Umfang wie auch dem Standort extrem stiefmütterlich behandelt. So wirkt Günther Hornigs Papier-Turm »Anorganisches Wachstum« regelrecht an die Wand gedrückt. Werner Stötzers steinerne sinnliche Flusslandschaft der »Liegenden Werra« ist an das Ende des separierten schmalen Ganges verbannt und so ebenfalls auf eine einzige Sichtachse beschränkt. Beides stellt einen unnötigen Misston der Positionierung dar. Ebensowenig wie hier springt einem – Zufall oder Absicht? – auch bei den frühesten Werken der Sammlung von Künstlern wie Carl Lohse (sensationell sein frühes Ölbild »Glashütte« von 1920), Hermann Glöckner, Hans Kinder oder Curt Querner deren inszeniertes Nischendasein ins Auge. Und auch die nebenan ebenso großzügig wie langatmig in den hohen hellen Raum gereihten Girke, Hornig und Gecelli können sich kaum gegenüber der dominanten originalen Fensterwand Issels behaupten.

Zu einem Höhepunkt des intensiven Seherlebnisses geriet der Hauptraum im Obergeschoss des Maschinenhauses, u. a. mit den Bildern von Cornelia Schleime, Thomas Hartmann und Kurt Buchwald. Dessen Montage aus 12 Digitaldrucken »Heil Deutschland. Mecklenburg Vorpommern« sowie ein Video von Marcel Odenbach und großformatige Fotoprints von Andreas Gursky und Edwin Zwakman zeigen einen drastischen und pointierten Umgang mit Zeitereignissen, ohne flachen Abbildungsmustern zu genügen. Fast alles sind jüngste Erwerbungen, aber Schenkungen, wobei Letztere wie in anderen Museen auch, in Überzahl auch zum Problem werden können. Wer im nagelneuen Prestel-Kunstführer, der mit der Beschreibung von 124 Einzelwerken ein sehr ausgewogenes, hochinteressantes Spektrum ausweist, blättert, der ahnt zudem, dass auch der zweite, dritte und siebente Einblick in die Sammlung spannend sein werden.

Die erste Einzelausstellung, in Kooperation mit dem Städtischen Museum Reutlingen, ist eine Entdeckung in doppelter Hinsicht: Sie wirft einen Fokus auf das heute seltener präsente Medium Druckgrafik an den Grenzen zur Malerei und verbindet zugleich die Außenhaut des Kunstmuseums mit seiner inneren Materie. Der Berliner Paco Knöller gestaltete das Portal des Museums durch sein belebendes Kunst-am-Bau-Projekt Yuàn (Quelle). Farblich nimmt er darin die Klänge des Originalbaus auf, des Taubenblaus der Türen, orangerot gestrichener Fensterrahmen, das matte Grün der Fliesenwände. Seine großen, wandumspannenden Holzschnitte im Schauraum erinnern auch an das, was in den 1980er Jahren junge Cottbuser Künstler derselben Generation wie Erna, Paul Böckelmann, Uli Richter oder Hans Scheuerecker im zeichnerisch-grafischen Experiment mit viel Lust auf Farbe und Bewegung produzierten. Vor 80 Jahren sah mancher in den visionären Industriebauten die neuen Kathedralen der Kunst, des Lebens schlechthin. Das Kunstmuseum Dieselkraftwerk Cottbus birgt durch gelungene Synthese die Einlösung des Traums vom anregenden Doppelleben: Es zeigt, wie gut diese facettenreiche Baukunst und bildende Kunst, vornehmlich aus den letzten 40 Jahren, im Dialog funktionieren. Deshalb ist dieses Haus wirklich schön: ein Leuchtturm, der über die Region hinaus strahlt. Fahrt nach Cottbus, Leute und schaut es euch an, genießt es!

Kunstmuseum Dieselkraftwerk, Am Amtsteich, Uferstr. Di-So 10-18, Do bis 20 Uhr; zu Pfingsten: zahlreiche Führungen und Konzerte; »Angelandet« – die Sammlung (bis 24.8.), »Paco Knöller. Schnitte. Riskante Euphorien« (bis 22.6.); Katalog.

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