Welche Revolution steht Nepal bevor?

Dina Nath Sharma, einer der Führer der KPN (Maoisten), im ND-Interview

  • Lesedauer: 5 Min.
Mit 220 Abgeordneten wird die Kommunistische Partei Nepals (Maoisten) die mit Abstand stärkste Fraktion in der Verfassunggebenden Versammlung stellen, die am 10. April gewählt wurde. Allerdings sträuben sich die anderen großen Parteien, gemeinsam mit den ehemaligen Rebellen eine Regierung zu bilden. Dina Nath Sharma (62), ein früherer Lehrer, ist Abgeordneter, Mitglied des Zentralkomitees der KPN (M) und einer der Sprecher seiner Partei. Für ND befragte ihn in Kathmandu Carla Lee.
Welche Revolution steht Nepal bevor?

ND: Sie waren doch sicher selbst vom Ergebnis der Wahl am 10. April überrascht, oder?
Dina Nath Sharma: Nein. Wir haben sogar mit mehr Direktmandaten gerechnet. Aber das Resultat ist nicht schlecht. Wir hatten schließlich noch keine Erfahrung mit Wahlen.

Große Herausforderungen erwarten Sie. Der Nepal-Kongress (NC) und die KPN (Vereinte Marxisten-Leninisten) zögern, einer von Maoisten geführten Regierung beizutreten, einige bisherige Minister haben bereits ihren Rücktritt eingereicht. Wie beurteilen Sie diese Reaktionen?
Als kindisch. Sie haben offenbar nicht mit einem derartigen Resultat gerechnet, das zeigt, dass die Leute den alten Gesichtern nicht mehr glauben. Ich denke aber, dass diese Reaktionen persönliche Ansichten widerspiegeln, keine Parteientscheidungen. Wir wollen eine Koalition bilden, denn das Land braucht sie.

Führer des NC wollen, dass ihr Parteichef Girija Prasad Koirala Regierungschef bleibt.
Die Menschen werden das nicht akzeptieren. Was diese Leute wollen, ist nicht so wichtig wie das, was das Volk will.

Es gibt Stimmen, die besagen, es sei unmöglich, schon bei der ersten Tagung des Verfassungskonvents die Republik auszurufen. Gerade das ist aber eine Ihrer Prioritäten.
Die Bildung einer Bundesrepublik Nepal wurde bereits vom bisherigen Parlament beschlossen. Der Verfassungskonvent wird sie nur institutionalisieren. Daran gibt es keinen Zweifel.

Ihre Partei hat König Gyanendra zum Verlassen des Palastes aufgefordert, doch noch sitzt er dort. Ins Exil zu gehen, lehnt er ab. Was passiert, wenn er den Palast nicht bald räumt?
In der Geschichte erlitten feudale Herrscher zweierlei Schicksale: Entweder sie gingen ins Exil oder sie wurden exekutiert. Wir wollen keins von beiden. Gyanendra soll den Palast friedlich räumen, wie es der klare Wille des Volkes ist. Er kann als normaler Bürger in Nepal leben. Er hat keinen Rückhalt im Volk, in der Regierung oder international. Er muss gehen.

Werden Sie ihn zwingen, wenn er sich weigert?
Dann müssen wir, die Maoisten, andere Parteien, das Volk, über den nächsten Schritt entscheiden.

Teile der Armee sind allerdings als Royalisten bekannt.
Sie unterstehen der Regierung. Nepals Armee würde sich nicht gegen das eigene Volk stellen. Wir hoffen, dass die Armee die demokratischen Kräfte unterstützt.

Ein heißes Thema ist die Eingliederung Ihrer Volksbefreiungsarmee (PLA) in die Nationale Armee. Einige Parteien sind dagegen, weil die PLA von Ihnen, den Maoisten, indoktriniert sei.

Wir müssen den Friedensprozess fortsetzen. Die Wahl war ein Teil davon, ein anderer ist die Integration der PLA. Streit werden wir in Gesprächen lösen. Wir wollen keine weiteren bewaffneten Konflikte. Dieses Land ist die Wiege Buddhas, und auch wir sind friedliebende Menschen.

Sie bestehen also auf der Integration?
Ja, aber wir denken nicht, dass dieses Land eine so große Armee braucht. Nach der Vereinigung der Armeen werden wir die Zahl der Soldaten verringern.

Ihre Partei spricht inzwischen von einer Entwicklung zum Kapitalismus. Verstößt das nicht gegen Ihre ursprünglichen Ziele?
Ich würde es »ökonomische Entwicklung« nennen, aber, ja, wir bewegen uns in Richtung Kapitalismus. Unsere Partei hat jahrzehntelang gegen den Feudalismus gekämpft, der auch den Kapitalismus behinderte, und wir haben gewonnen. Das nächste Jahrzehnt wird die Periode einer ökonomischen Revolution sein. Wir müssen diese Nation zunächst entwickeln, bisher sind die Produktionskapazitäten viel zu gering.

Überall in der kapitalistischen Welt wächst die Kluft zwischen Arm und Reich. Ihre Partei hat doch für die Armen und Unterdrückten gekämpft, oder nicht?
Sicher gibt es Widersprüche zwischen Kapital und Arbeit. Aber wir werden sie zu lösen versuchen, indem wir uns besonders der Armen und der unteren Kaste annehmen.

Wird der ökonomischen Revolution auf kapitalistischem Weg eine sozialistische Revolution folgen?
Wenn die wirtschaftliche Entwicklung einen bestimmten Punkt erreicht, entwerfen wir die Art von Revolution, die dann nötig ist. Den Kommunismus als Ziel werden wir aber nicht aufgeben. Das wäre jedoch nicht der Kommunismus, den wir auf dieser Welt schon gesehen haben. Wir wollen einen neuen Typ, der nicht nur jedem die gleichen demokratischen Rechte, sondern auch wirtschaftliche Rechte und Leistungen gewährt. Wir haben da schon einiges erreicht: Frauen, Indigene und »Unberührbare«, die über Jahrhunderte von der Monarchie unterdrückt wurden, sind jetzt sogar gewählt worden, viele für unsere Partei. Das ist ein neuer Typ der Demokratie. Aber der Weg ist noch weit.

Nepal wird auf Entwicklungshilfe angewiesen sein, besonders vom Nachbarn Indien, dem Sie Expansionismus vorgeworfen haben.
Wir lehnen jede Form von Expansionismus ab. Wir wollen freundschaftliche Beziehungen mit den zwei Riesen Indien und China. Dabei werden wir die gleiche Distanz zu beiden Nachbarn wahren. Im Grunde bitten wir jedes Land und alle internationalen Gemeinschaften um Hilfe.

Die Maoisten stehen noch immer auf der Terroristenliste der USA. Wie stellen Sie sich die künftigen Beziehungen zu den USA vor?
Wir sind gegen Imperialismus. Aber diplomatische Beziehungen mit den USA sind notwendig. Uns Terroristen zu nennen, ist nicht angemessen, denn wir sind keine. Das müssen die USA korrigieren.

Jüngst gab es fast täglich Demonstrationen von Tibetern, gefolgt von gewalttätigen Razzien der Polizei. Wird Ihre Regierung die Meinungsfreiheit respektieren, wenn tibetische Flüchtlinge friedlich protestieren?
Prinzipiell respektieren wir die Meinungsfreiheit. Mehr ist dazu nicht zu sagen. Das Tibet-Thema ist eine interne Angelegenheit Chinas. Wir werden gegen keinen unserer Nachbarn vorgehen.

Einige Menschenrechtler bezweifeln Ihre Ernsthaftigkeit bezüglich der Bildung einer »Kommission für Wahrheit und Versöhnung«, die Gräueltaten und das Verschwinden von rund 1200 Menschen während des Bürgerkriegs untersuchen soll.
Das nehmen wir sehr, sehr ernst, weil wir selbst die meisten Opfer zu beklagen haben. Wir wollen, dass die Faktenkommission sehr effektiv arbeitet.

Auch in Fällen, in denen Sie für das Verschwinden verantwortlich sind?
Mit Sicherheit.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal