»Spielt jetzt!«

Lothar Schmid – Schachgroßmeister, Reykjavik-Schiedsrichter, Verleger, Sammler

  • Lesedauer: 3 Min.
Großmeister Lothar Schmid ist dieser Tage 80 Jahre alt geworden. In Radebeul am 10. Mai 1928 geboren, wurde er 1947 Deutscher Jugendmeister und auch Meister in der Sowjetischen Besatzungszone. 1948 zog es ihn nach Bamberg, wo er bis heute den Karl-May-Verlag leitet. Schmid nahm für die Bundesrepublik an elf Schach-Olympiaden teil. Weltbekannt geworden ist er als Schiedsrichter – beginnend mit dem WM-Match Fischer - Spasski 1972 in Reykjavik.
Lothar Schmid
Lothar Schmid

Was bereitet mehr Freude: Bücher herzustellen, zu sammeln oder Schach zu spielen?
Das Verlegen ist eine schöpferische Sache. Schach ist auch sehr kreativ. Im Sammeln von Büchern vereint sich beides.

Worin liegt für Sie der große Reiz des Schachs?
In der Harmonie und der Möglichkeit, den Gegner zu besiegen. Am größten ist die Genugtuung, wenn das elegant gelingt. Wenn man den Geist überlegen einsetzen und die Partie führen kann. Leben und Schach sind sich ähnlich.

War das so auch bei Ihrem wohl wichtigsten Wettkampf als Schiedsrichter, bei Fischer-Spasski 1972 in Reykjavik?
Auch, aber da gab es vor allem immer Kampf. Nicht nur zwischen zwei Persönlichkeiten, auch zwischen den politischen Systemen. Fischer und Spasski waren zwar Schachfreunde, aber eben aus West und Ost.

Welche Ihrer Entscheidungen war dort die schwierigste?
Fischer war zur 2. Partie nicht angetreten und verlor sie kampflos. Er wollte unbedingt in einem separaten Raum spielen. Dem wurde entsprochen, aber vor dem 3. Spiel machte er wieder Theater. Da packte ich ihn und Spasski bei den Schultern, drückte sie in ihre Sessel und sagte: »Spielt jetzt!«. Spasski machte wie automatisch den ersten Zug – das WM-Match war gerettet.

Welche Schachpersönlichkeit hat Sie am meisten beeindruckt?
Mehrere: Aljechin, Botwinnik, Fischer, auch Kasparow und Karpow. 1943 in Wien hatte ich übrigens Alexander Aljechin bewundern dürfen. In seiner Person begann ich das Faszinosum Schach leibhaftig zu spüren.

Welche Eigenschaften braucht man, um Weltmeister zu werden?
Ungeheuren Willen, Durchhaltevermögen, Fleiß und natürlich Genie. Die Überbegabung muss erkannt, gefördert und ausgebaut werden. Talent wird übrigens in den Partien sichtbar, auch wenn es Niederlagen sind.

Noch immer werden Sie zu vielen großen Schachereignissen eingeladen, auch zur Olympiade nach Dresden. Packt Sie dann wieder das Schachfieber?
Im reifen Alter habe ich nicht mehr diese Spielgelüste und den Ehrgeiz wie früher, spiele aber noch gern simultan. Ich freue mich auf die Olympiade in meiner Heimatstadt Dresden. Das Völker verbindende dieses großen, einmaligen Turniers ist genau so wichtig wie der sportliche Wert.

Ihre Leidenschaft ist das Sammeln von Schachutensilien. Welches sind besondere Raritäten?
Petrosjan schenkte mir einst einen Springer mit einem Wunderauge. Er ist aus Alabaster, etwa zwölf Zentimeter hoch und wurde von einem armenischen Künstler gefertigt. Das Auge ist eine Lupe, und in ihr sieht man, auf ein Reiskorn gemalt, die Endstellung der 5. WM-Partie Petrosjan - Botwinnik von 1963.

Sie besitzen die größte Schachbuchsammlung. Wie viele Titel hat sie?
Das sind etwa 50 000 Einheiten. Aber es geht nicht nur um die Anzahl. In ihr befinden sich Seltenheiten wie frühe Manuskripte, die vor Gutenberg entstanden.

Auch das erste gedruckte Schachbuch der Welt ist darunter.
Ja, es ist von Lucena, erschien 1497 und heißt »Repetition der Liebe und Kunst des Schachspiels«. Ein großartiger Titel. Er verbindet Liebe und Schachkunst. Da haben wir es wieder: Schach hat ganz menschliche Züge.

Gespräch und Foto: Dagobert Kohlmeyer

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